Sie starrt es an, dieses blutige Messer. Dass sie die gesuchte Person ist, kann sie nicht wissen. Das hatte ich schon so eingefädelt. Das ist Teil des Planes, des Werkes.

Die muss ja abscheulich wirken, diese Klinge, welche trieft vor lauter rotem Saft. Ich habe es schärfen müssen. Eine Sauerei wollte ich vermeiden. Dann bin ich doch mit dem Zeigefinger rangekommen. Fliesst eben schrecklich viel Blut durch die Fingerkuppe. Sie starrt. Im Grunde ist mir ja auch egal, was sie denkt. Dennoch reizt mich nun doch das Spielchen und daher gehe ich auf ihre Reaktion ein, grinse sie freundlich an:
„Musste ich vorher schärfen. Gut durchblutet, so ein Finger. Tja, bin manchmal etwas schusselig.“
Unwillkürlich legt sie ihren Kopf schief, zieht die linke Augenbraue nach oben. Mit zitternder Stimme versucht sie, eine Art beginnendes Gespräch aufrecht zu erhalten:
„Ist mir auch schon passiert. Is ne riesen Viecherei.“
Schallendes Lachen: „Genau!“
Nun wird die Situation noch etwas eigenartiger, als sie wissen will, wer ich bin und was ich hier mache.
«Nun, ich bin der Hausmeister und bringe Leute um, die im Homeoffice sitzen sollten.»

Herr Biedermann und seine Brandstifter von Max Frisch gehen mir plötzlich durch den Kopf, als ich mit lachendem Ton höre:
«Hihi. Ja, genau. Und deshalb zeigen Sie sich mir ja auch, anstatt mir aufzulauern!»
«Warum sollte ich das nicht tun?»
«Na, um keine Zeugin zu haben!»
«Aber wenn Sie tot sind, können Sie eh nicht reden.»
«Hm. Good point.» Kurz scheint sie zu überlegen, dann beginnt sie zu zweifeln:
«Aber warum sollten Sie mir dann sagen, dass Sie sich selbst geschnitten haben?»
«Na, weil ich das habe.»
«Ach so.»
Das Gespräch wirkt bizarr. Ich gehe 2 Schritte auf sie zu, als sie ihre rechte Hand nach vorne vor sich hält und meint:
«Halt. Aber, was machen Sie dann mit meiner Leiche?»
«Na, auf keinen Fall jedenfalls diese Konversation weiterführen.»
«Aber, wo wollen Sie mich hinbringen? Ich bin schwer!»
Ist wohl ein verzweifelter Versuch, ihrem Schicksal zu entkommen.
«Das schaffe ich schon.»
«Und dann?»
«Löse ich Sie in Salzsäure auf.»
«HA!»
«Naja, warum nicht? Dann sind Sie weg.»
«Und ihr schlechtes Gewissen?»
«Ein «Nicht-vorhandenes-Gewissen» kann auch nicht schlecht sein.»
«Sie sind also ein gewissenloser Mann?»
Was ist die? Vom FBI, oder was? So dumme Fragen werden sonst nur von Psychologinnen in amerikanischen Serien gestellt. Mir wird’s zu blöd. Mit schnellen Schritten gehe ich auf sie zu. Sie labert weiter, aber das beschleunigt nur alles. Natürlich haut sie ab. Aber wohin soll sie schon! Da hinten ist der Gang bald zu Ende. Schon gut auch, dass dieser Glaspalast von aussen so spiegelt, dass hier niemand hereinsehen kann. Abgesehen davon ist das in dieser Höhe ohnehin eine Herausforderung, wenn man nicht gerade mit einer Drohne oder einem Hubschrauber unterwegs ist.
Sie macht also den letzten Schritt nach hinten. Nun geht es nicht mehr weiter. Hinter ihr ist die äussere Glaswand. Ich brauche also lediglich meinen Arm mit dem Werkzeug zu heben und zuzustechen. Ich treffe nicht gleich das Herz, also werden es mehr Stiche. Anders als im Schauerfilmchen ist es gar nicht so einfach, durch das dichte Fleisch zu dringen. Ausserdem behindern die Rippen manchmal das Messer. Zu dem kommt, dass der Körper langsam erschlafft und ich mich bücken muss, um weiterhin zustechen zu können, was wieder einen höheren Kraftaufwand erfordert, zumal ja auch die richtige Körperhaltung für einen optimalen Energieverbrauch sorgt. Auch spritzt das Blut nicht gleich. Nur, wenn ich eine Hauptschlagader treffe.

Sie sieht mich am Anfang überrascht an. Dann irgendwie bedauernd. So als hätte sie am liebsten noch mehr Zeit mit mir verbracht. Als sie am Boden zusammengesackt ist, hat sie diesen starren Blick drauf. Einen, wie ihn keine lebende Person richtig simulieren kann.
Nun ist klar, dass sie nicht mehr aufstehen wird. Jawohl. Eine überwältigende Art von Erfolgserlebnis durchzieht mich. Ich grinse. Es ist die Art von Motivation, die ich verspüre, wenn ich genau weiss, dass es kein Zurück gibt, ich mir sicher bin, dass ich durch den Anfang des Werkes etwas losgetreten habe, was unbedingt zu Ende gebracht werden muss.
Ich gehe und hole meine Sachen. Darunter sind chemische Putzmittel. Sie sollen es DNA-Analysen unmöglich machen, jegliche Art von Identität zu enthüllen. Zuerst muss die Bürolady aber in den unteren Bereich des Gebäudes. Ich wickle sie in eine gigantische Plastikfolie. So hinterlässt sie keine Schleifspuren. Trotz meiner Kraft kommt es nicht in Frage, sie bis zum Aufzug zu tragen. Während ich sorgfältig arbeite, mir überlege, wie ich sie am besten drehe und wende, ohne dabei noch mehr Dreck zu hinterlassen, werde ich langsam kraftloser. Weiter geht es aber, denn nun muss es durchgezogen werden. Der Triumph ist noch da.
Am Lift angekommen frage ich mich kurz, ob ich beim Plan bleiben und erst später hier oben aufräumen soll, oder ob ich es gleich mache, falls noch so eine verirrte, fleissige Mitarbeiterin kommen sollte.
«Bleib beim Plan.» Spreche ich selbst mit mir. Ja, es ist wohl das Vernünftigere. So verschwindet zuerst die Leiche, das grösste Beweismaterial. Falls das Blut gefunden wird, dazu aber keine Person ist die Aufklärung schwieriger als umgekehrt. Im Fahrstuhl angekommen drücke ich auf den Knopf mit der Beschriftung «-2». Ein roter Fingerabdruck bleibt darauf sichtbar. Verdammt. Ich wische darüber. Weg ist er. Gibt es noch mehr, womit ich nicht gerechnet habe? Die Handschuhe, so habe ich mir überlegt, brauche ich ja nicht, zumal ich ja hier arbeite und so oder so überall meine persönlichen Spuren sind. Aber mit Blut? Wenn ich nicht alles durchdacht habe, so werden mir jetzt noch die letzten Details einfallen.

Hier unten geht es nur einmal kurz um die Ecke und schon komme ich in den Raum unter der Tiefgarage. Er ist einfach leer. In den darüber liegenden Stockwerken gibt es hier die Fluchttreppe. Weiter ins Erdinnere geht es aber nicht, sodass hier zusätzlicher Stauraum entstanden ist. Jetzt aber: Handschuhe. Der Adrenalinrausch schwindet. War es das wert? Was sollte das? Der Rausch hatte von der Planung bis eben vorhin gedauert.
«Denk nicht nach, zu spät.»
So ist das mit der Welt: Die Wirtschaft fordert ihre Opfer, der Krieg, die Politik tun es. Warum also nicht auch die Kunst? Sind manche Menschen denn so wichtig, dass es rechtzufertigen ist, wenn wegen ihres hohen Energieverbrauchs andere an deren Dreck ersticken müssen?
Bevor der Auflösevorgang beginnen kann, muss sie etwas zerstückelt werden. Die Säge funktioniert. Nach einer Sekunde mit der Elektrosäge stellt sich heraus, dass der gesamte Raum verunreinigt ist. Trotzdem kleide ich ihn aber penibel mit grossen Mengen an Plastikfolie aus, bevor ich weiter ans Zerkleinern gehe. Nun habe ich Stücke, die in die, mit Salzsäure gefüllte Wanne passen. Dass sie nicht vollgefüllt sein durfte, war mir vorher klar, schliesslich hat so ein Körper eine gewisse Dichte. Es funktioniert. Der Vorgang dauert. Ich schaue zu. Ich sehe, wie jedes Detail langsam verschwindet. Wie hypnotisiert kann ich meine Augen nicht abwenden. Erst nach einigen Minuten setze ich eine Schutzbrille auf. Es erinnert mich an die Abende als Jugendlicher, als wir auf der Lichtung Feuer gemacht hatten, um unsere Würste zu grillen. Wir hatten hineingestarrt in die Hitze, hatten unsere Blicke nicht woandershin richten können.
Stück für Stück verschwindet sie. Ich weiss nicht, wie lange es gedauert hat. Es ist mir auch egal. Selbst wenn der Morgen anbricht, wird niemand kommen. Zeit habe ich im Überfluss. Schön. Das hatte ich immer schon haben wollen. Nun mache ich mich an die Nacharbeiten. Aber halt: Erst sollte ich oben klar Schiff machen. Da fällt mir ein, dass die Forensik doch nur ein winziges Fäserchen bräuchte, um etwas Blut nachweisen zu können. Ich beginne zu zittern, zu zweifeln. Angst. Aber wieso sollten sie überhaupt da oben suchen? Ich putze also. Exakt. Wieder. Nochmal. Ist jetzt Sonnenuntergang? Wenn ja: Vom nächsten Tag? Oder vom Übernächsten? Die Erschöpfung überspiele ich schon länger. Essen will ich aber nicht, trinken auch nicht. Die Toilettengänge würden mich nur aufhalten. Es würde mich schrecklich nervös machen, nicht zu wissen, was abgegangen sein würde, während ich einfach nur mal meinen menschlichen Bedürfnissen nachgegangen wäre.
Oben ist so weit alles fertig. Nun heisst es unten wischen. Putzen. Reiben. Obwohl: In den Raum kommt nun wirklich niemand. Ich könnte ausgeschlafen wiederkommen. Nein. Es muss gleich erledigt werden.
Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit lasse ich mich mit der Wand im Rücken auf den Boden im zweiten Untergeschoss sinken. Uff. Fertig. Nein! Ich muss aufstehen, bevor ich wegnicke und die Putzmittelverpackungen entsorgen. Ich werde zum Fluss gehen, sie mit Sand befüllen und versenken.
So. Fertig. Alles perfekt erledigt, organisiert. Nichts wird auf mich hindeuten. Ich werde sagen, dass ich im Bürokomplex geputzt habe, was ja auch der Wahrheit entspricht. Niemand wird es hinterfragen. Kleine Hausmeister werden nicht beachtet. Dann werde ich müde ins Bett gefallen sein.
Der Morgen graut. Immer noch weiss ich nicht der Wievielte nach der Tat. Ich drehe mich um. Die Stadt hatte hier vor 70 Jahren den Fluss in ein Bett gelegt. In den 1980ern waren hier Drogenpartys. Es ging mir durch den Kopf, dass die Heroinsüchtigen wohl teilweise noch immer in ihren Methadonbehandlungen sind. Überwachung war Teil der Lösung des Problems. Ein Gedanke gibt den anderen, als ich mich umdrehe und in die Kamera starre, die zum Ufer zeigt, an dem ich eben noch beschäftigt war.
Quelle: Das Titelbild enthält ein Bild von Joyce McCown: https://unsplash.com/@moonshadowpress
Die Minithriller sollen nicht mit Werbung geflutet werden?: https://www.buymeacoffee.com/QBurg
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