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Das Christkind

Santa Graus
Santa Graus

Das beste Weihnachtsgeschenk aller Zeiten wird es werden! Oh Mann, ich bin so aufgeregt, seit ich den Entschluss gefasst habe. Es wird genial. Niemals zuvor ist  jemand auf die Idee gekommen. Sie wird begeistert sein! Nichts begehrt meine Frau so sehr! Ich liebe sie und sie soll das bekommen, was sie sich schon lange am meisten wünscht. Es ist noch Zeit. Ich bereite alles akribisch vor und fädle die nötigen Schritte genau ein. Das Geschenk ist so speziell, dass es kein Geschäft dafür gibt. Klauen wäre etwas. Hm. Aber da würde ich so meine Schwierigkeiten haben. Ich könnte erwischt werden. Nun ja, Vorbereitung ist eine Möglichkeit: Die Sicherheitsleute betäuben, mich verkleiden. Zudem müsste ich mir ein Alibi verschaffen. Klingt alles aufwändig. So hätte ich jedoch mit niemandem Kontakt. Es würde Spuren verwischen. Nichts würde auf den Diebstahl hindeuten. Gewiss, ich bin doch kein Dieb! War es nie! Zwar könnten die Bestohlenen leicht zu einem Ersatz kommen, hätten daher keinen Verlust zu beklagen, aber, na ja, so ist die verdrehte Moral der Gesellschaft; hinter mir her wären sie schon. Ich würde zu viele Fehler fabrizieren. Die paar Krimis, die ich im Fernsehen geschaut habe, sind nicht der Ersatz für eine Lehre als Einbrecher und Dieb. Daher, so denke ich, werde ich mal das Internet konsultieren. Hier habe ich aber das Problem, dass Händlerinnen im Hintergrund sind. Illegale Verkäuferinnen. Was soll‘s. Diese haben schliesslich einen Ruf zu verlieren. Daher werden sie mal fein säuberlich ihre Spuren verwischen.
 
Ich surfe also herum. Ist nicht gerade „Ware“, wie sie vom Goole-Algorythmus gefördert wird. Ich entschliesse mich dazu, alternative Suchmaschinen zu suchen. Jetzt fällt mir ein, dass ich einen VPN-Client herunterladen sollte, um erst mal im Netz die Nachverfolgung der IP, meiner digitalen DNA, zu verunmöglichen. Die Software ist schnell installiert und ich turne virtuell zwischen Hongkong, Vancouver, Wu-Han, Tokyo und Perth herum. Unglaublich: Schon der siebte Kaffee. Was werde ich meiner Frau am Morgen erzählen? Na ja: Das Projekt in der Arbeit liess mich grübeln und wach halten. Noch ein paar Seiten. Das kann doch gar nicht so schwierig sein. Schliesslich finde ich hier im Dark-Net, in dem ich schon angekommen bin, Sklavinnen, Kinderpornofilme und sonstigen ähnlichen Kram. Schrecklich! Wie kann man das nur machen! Wenn ich mit meinen Weihnachtsbesorgungen fertig bin, werde ich mir diese Seiten vornehmen und sie zur Strecke bringen. Jetzt kann ich mich nicht mehr konzentrieren. Ich beschliesse, morgen weiterzusuchen. Das würde genügen.
 
Dark-Net heisst das hier also, so komme ich drauf. Meine Frau hat mir geglaubt wegen des Projektes. Schliesslich belügen wir uns nie. Das ist ja nur eine kleine Notlüge. Unbedeutend. Jetzt bin ich indessen fündig geworden. Jawohl. Das ist es. Ohnehin gib es offenbar nur die eine Seite, die in meine Region liefert. Zu weit will ich ja zwecks Risikoverringerung nicht weg. Es existiert keine grosse Auswahl. Aber das macht nichts. Es wird sich im Laufe der Zeit so oder so an uns anpassen. Ich nehme das Durchschnittlichste, das es gibt. Die Kreditkarte wird aufs Äusserste strapaziert. Aber meine beträchtlichen Gehälter lassen hohe Limite zu. Die Seite verspricht, mir offiziell ein teures Coaching zu verkaufen. Etwas, das ich nicht herzeigen muss, falls gefragt wird und das sich leicht erklären lässt.
 
Heute ist die Übergabe. Ich bin aufgeregt. Es ist der Weihnachtstag und ich habe meiner Frau gesagt, dass ich eine Überraschung für sie beischaffen möchte. So ist die Heimlichtuerei gerechtfertigt und sie beruhigt. Ich starte los. Will mir ein Ticket an der Bushaltestelle holen, weil ich bei einem Kauf über das App Angst habe, Spuren zu hinterlassen. An der Haltestelle angekommen, stelle ich fest, dass ich kein Bargeld mehr habe. Mit der Karte zahlen ist unmöglich. Unauffällig will ich mich bewegen, daher möchte ich nicht schwarz fahren. Ich gehe zurück zum Haus und ins Untergeschoss, um das Fahrrad zu holen. Dort im Keller habe ich mich umgezogen: Die alten Carnevalsachen habe ich angezogen: Die blonde Perücke, die Damenhose, den Hut, das simple Tuch um den Hals. Pumps hatte ich noch in meiner Grösse. Diese hatte ich vor ein paar Nächten getestet. An dem Tag, an dem ich den Computer „gereinigt“ hatte. Erst hatte ich den Browserverlauf eliminiert, dann alle Notizen. Danach hatte ich verschiedenste Verläufe gelöscht. Panik war andererseits nicht zu vermeiden gewesen, weshalb ich ungeachtet dessen das Betriebssystem neu aufgesetzt hatte. Ich hatte in dem Moment immer gezittert, geschwitzt und mir überlegt, ob da nicht trotzdem was zu finden wäre. Weil ich aber eine umfangreiche Versicherung habe, hatte ich zu guter Letzt einen stark gezuckerten Kaffe über den Computer gegossen, um ihn endgültig entsorgen zu können. Schwer war es mir dann gefallen meiner Frau und meinen Arbeitskolleginnen, sowie der Versicherungsvertreterin ein Theater vorzuspielen. Wie lästig das wäre, dass mir das passiert sei, wie dumm ich doch gewesen war, blaba.
 
Erstaunlich, wie manche Frauen tagtäglich mit solchen Latschen unterwegs sein können. Ich bin am vereinbarten Platz. Es ist alles durchdacht: das Theater. Eine einzige Inszenierung. Es hat geheissen, ich solle mich strikt an das „Drehbuch“ halten. Ich stelle mir vor mich so zu verhalten, wie ich es von manchen Transvestiten kenne. Weil ich die Drag-Kunst faszinierend finde, fällt es mir nicht schwer. Da: Ich sehe ihn in der Menschenmenge. Er hat das Bündel in der Hand. Unauffällig, wie irgendein Vater. Ich gehe auf ihn zu. Crap. Da verschwindet sein Kopf wieder in der Menge. Viele Menschen sollten als Ablenkungsmanöver dienen. Das durchschnittliche Aussehen des Herren ebenfalls. Um ihn unter all den Leuten wiederzufinden ist es aber nicht dienlich.
 
Plötzlich steigt der Blutdruck auf den Doppelten an, als ich von hinten einen Händedruck auf die Schulter bekomme. Er ist es wieder. Ich bin erleichtert und aufgeregt zugleich. Mein Adrenalin wird weiter in erhöhtem Masse produziert. Er, ebenfalls mit Sonnenbrille und unauffälligem Hut bekleidet, sieht mich an, sagt das Codewort. Ich küsse ihn links und rechts auf die Wange, um Vertrautheit zu simulieren. Er umarmt mich sanft. Ein paar belanglose Sätze wechseln wir. Wie vereinbart: nichts zum Thema. Das Wetter, wie der Verkehr hierher war. Ich bekomme es. Verzückt sehe ich es an. Ich frage ihn, wie es eine Mutter tun würde, ob es schon lange schläft, bereits gegessen hat. Er antwortet knapp und verabschiedet sich freundlich. Es sieht friedlich aus, das Baby. Meine Frau wird ausflippen.

 

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