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Das Patentamt

 

Genial. Absolut perfekt. Jawohl: Es wird die Welt verändern. Revolutionär. Wow. Sowas habe ich, seit ich in diesem Amt arbeite, noch nie gesehen. Hm. Sie wird Millionärin. Das wird durchschlagen wie Irre. Aber es wird auch ein Schlag sein für die Gesellschaft. Hm. Wenn ich es genauer betrachte könnte es sogar todbringend sein; ... könnte uns alle ausrotten. Naja, wäre eh besser für die Erde. Wer verdreckt sie denn, schlägt ihr täglich ins Gesicht? Sie sieht uns zu, seit Jahrtausenden. Der Tod ist uns sowieso sicher. Mit dieser Erfindung kommt er einfach früher. Oder doch später? Nun, das kommt wie immer darauf an, was wir daraus machen.

 

Dennoch. Eventuell ist das Ding noch nicht ausgefeilt. Hier und da müssen wohl noch Nägel gezogen, es muss an Schrauben gedreht werden. Aber der Hammer ist es schon. Oder könnte es werden. Ich bin total aufgeregt. Nun liegt es jedoch ein bisschen an mir: Lasse ich es durchgehen, oder melde ich mich bei der Erfinderin, um eigenartige Infos zu klären? Zudem habe ich diese apokalyptische Verantwortung in meinen Händen. Ich könnte den Untergang der Menschheit zulassen. Ich könnte ihn aber auch verhindern. Oder doch dazu beitragen, den Homo Sapiens auszulöschen. Mann, diese Grübelei seit ich dieses Etwas in den Händen halte. Wenn ich aber mit der Entwicklerin spreche, .... . Wenn nicht.

 

Patentamt
Patentamt

 

Nun ist eine Nacht durch. Das Gefühl von Macht überkommt mich jetzt noch mehr. Es überwältigt mich förmlich. Ich halte das Steuerrad. Ich kann entscheiden. Da siechte ich jahrelang im verstaubten Amt vor mich hin, musste die psychischen Schwankungen meines alkoholkranken Chefs ertragen, ärgerte mich über die Sinnlosigkeit der Tätigkeit vor einem Stapel von Akten, schimmelte vor Langeweile vor mir her und nun ändert sich plötzlich alles. Weil ich es aber gewöhnt bin genau zu arbeiten, möchte ich das Gespräch der Antragstellerin suchen. Da ich am Hebel sitze, habe ich Zugang zu ihren Daten und finde sogleich ihre Nummer. Schnell ist ein Termin ausgemacht. Vorgesetzte haben bei mir im Magistrat sowieso keinen Überblick und so kann ich ganz einfach meine Nachforschungen während der Arbeitszeit anstellen. Auch liesse sich dieses Gespräch einfach erklären.

 


 

Es ist wohl wie die Atomkraft: Argumentiert wurde damals mit unendlicher Energie. Tatsächlich hat sie in Bombenform, aber auch als Energiespender Millionen von Menschen auf dem Gewissen und weil wir so töricht sind, noch immer zu denken, es sei so gewinnbringend, wird sie uns unweigerlich ohnehin umbringen, wenn auch erst in ein paar Tausend Jahren, egal ob wir noch mehr von ihrem Müll dazu produzieren, oder nicht.

 

 

In ihrem privaten Labor angekommen, wundere ich mich erst mal darüber, wie modern und futuristisch alles eingerichtet ist. Wie hat sie das nur alles selbst finanziert? Der Eingang über das alte Gebäude durch den Innenhof, um dann ins Stöckelgebäude zu kommen, ist unscheinbar und erinnert eher an ein Tor eines vorigen Jahrhunderts. Der frühe Herbst sorgt dafür, dass die Temperatur drinnen und draussen angeglichen ist. Die Sonnenstrahlen zeichnen Muster von den Blättern auf den Boden. Der Geruch ist neutral, zu hören ist ein leichtes Summen von irgendwelchen rotierenden Maschinen. Kaum der Rede wert. Bald würde ich es nicht mehr hören. Die Dame, auf die ich nun ganz besonders neugierig geworden bin, passt auch nicht in das Tüftler-Klischee eines „Zurück in die Zukunft“-Filmes. Anstatt eines Ärztekittels bedeckt ein eng anliegender Jeansanzug mit Löchern an den Knien, die wohl beim Kauf schon dort gewesen sein müssen, ihren relativ schlanken Körper. Ein kleines Bäuchlein, die straffe Hose an ihrem Hintern, die kurz geschnittenen Fingernägel, sowie die achtlos mit einem dünnen Band zu so etwas wie ein fransiges Knötchen zusammengebundenen, ansonsten halblangen Haaren, die teilweise um ihr Gesicht hängen, verraten, dass sie weit besseres zu tun hat, als sich um ihr Aussehen zu kümmern. Fast schäme ich mich plötzlich mit meinem Tweed-Anzug, den ich nur für spezielle Gelegenheiten auspacke. Vor Jahren aus England importiert, sollte dieses konservative Schlammgrün mit der grauen Hose mir dabei helfen, auf andere kompetent zu wirken. Meine grau-melierte Halbglatze und meine altmodische Brille würden das angeblich so oder so erledigen, wie mir mal mein ehemaliger Kollege versichert hatte.

 

Weg im Nebel
Weg im Nebel

 

„Guten Tag, Herr...? Entschuldigung, ich bin so schlecht mit Namen. Auf jeden Fall: Willkommen! Schön, dass sie sich so schnell die Zeit genommen haben.“

 

„Ja, äh. Sifir. Sifir ist mein Name. Sicher. Hallo Frau Isim.“

 

„Also guten Tag nochmal, Herr Sifir. Sie wollen also mehr wissen. Nun, wie ihnen ja klar ist, handelt es sich um einen kollektiven Glücklichmacher mit dem Nebeneffekt, dass auch noch die Umwelt dabei geschont wird. Eine absolut herrliche Erfindung!“

 

Sie lässt ihre rotblonden Strähnen über ihre rechte Schulter gleiten und grinst erfreut, während sie enthusiastisch fortfährt:

 

 

Spukhaus
Spukhaus

 

„Niemand wird zu Schaden kommen, keine muss sterben. Alle sind nur mehr glücklich. Stellen sie sich das mal vor! Ihr Chef kommt morgens ins Büro. Sie werden noch nicht da sein, weil sie endlich ausschlafen können, ohne negative Folgen dabei zu haben. Er wird sie nach späterem Eintreffen sanft anlächeln und sie nur freundlich fragen, ob sie gut geschlafen hätten. Sie werden den Kaffee geniessen, den ihnen ihr Kollege schon mal vorsorglich vom Café nebenan mitgebracht haben wird.»

 

Ich ziehe eine Augenbraue nach oben. Leichtes Misstrauen kommt in mir hoch. Eine weitere Droge also? Als ob die Städte, die Zollämter, die Polizeistationen, die Armenhäuser nicht schon voll davon wären.

 

«Ich sehe schon. Sie unterschätzen meine Kompetenzen. Kommen Sie mit, sehen Sie sich selbst die Früchte meiner Forschung an.»

 

Sie macht dabei eine einladende Geste in Richtung des hinteren Teils ihres Labors und beginnt voranzuschreiten. Sie öffnet eine Türe. Dahinter ist nur ein Minigang. So etwas wie eine Schleuse. Wir stecken darin wie in einem engen Aufzug, zwischen dem Schliessen der einen und dem Öffnen der zweiten Tür. Als sich die zweite Türe öffnet, eröffnet sich mir ein Blick in einen, von Tageslicht verschonten, sehr grossen Raum, der steril wirkt und vom Licht der, an der hohen, weissen Decke hängenden Neonröhren, durchflutet wird. Leichtes Piepsen ist zu vernehmen, dessen Schallwellen die Synapsen, die für mein Gehör zuständig sind, verfolgen und mit meinem Sehvermögen verknüpfen. Es kommt von den Gitterstäben, hinter denen sich grosse Ratten befinden. Daher kommt auch die Note im Duft, die dem Desinfektionsmittel und den Molekülen von Chemikalien, die in der Luft hängen, etwas weniger Steriles verleihen. Meine Augenlieder zieht es automatisch weiter nach oben, als ich weitere Käfige mit Nagetieren entdecke. Sie deutet auf den mit den niedlichen, gefleckten Hasen. Sie öffnet ihn, holt ein Tier heraus. Es benimmt sich wie ein Kuscheltier, nicht wie ein Versuchskaninchen.

 

Laborhase
Laborhase

 

«Es freut sich, wenn es gestreichelt wird, es ist aber auch glücklich, wenn es seine Ruhe hat.»

 

Naja, wie kann ich schon beurteilen, ob das Hasengulasch auf meinem Teller, oder Steak am Grill mit einem Lächeln im Gesicht durch Wälder und Wiesen gerannt ist. Auch braucht weder mein Zierfisch zu Hause noch der Papagei im Zirkus mit dem Auto zu fahren, oder ein Kreuzfahrtschiff zu steuern.

 

«Übrigens habe ich es auch schon geschluckt. Es hat keine Nebenwirkungen. Nicht im Geringsten. Sehen sie mich an.»

 

«Naja», so lasse ich meinen Gedanken freien Lauf, «wenn Schönheit eine Nebenwirkung ist, dann her mit dem Zeug.» Auch überzeugt es mich eher, einen Menschen, nicht ein Tier mit der Wirkung in Verbindung bringen zu können.

 

«Ich bin geistig fit, bin glücklich und tue, was mich glücklich macht und es macht mich glücklich, was ich tue. Ich forsche und es geht mir gut dabei. Das ist einfach genial. Ich forsche nun noch mehr und effizienter, als davor.»

 

Langsam werde ich noch neugieriger:

 

«Sie sagen also, die einzige Veränderung in meinem Zustand, meiner Persönlichkeit wäre es, mich wohl zu fühlen?»

 

Sie fasst sich ans Kinn, neigt den Kopf, schaut nach rechts oben.

 

«Naja. Eine gewisse Hemmungslosigkeit in dem, was einen Flow bereitet, konnte ich bei mir schon beobachten.»

 

Mein Gehirn beginnt zu rotieren. Meine Phantasien schwirren wie Billardkugeln in meinen Gedanken herum. Ich denke gar nicht mehr an das Patent. Es geht plötzlich einzig und allein um mein Glück. Hemmungsloses Glück. Nur mehr das zählt. Das alles könnte es für alle Menschen geben. Die übelsten Kriegsführer dieser Erde müssten ihre Macht nicht weiter ausweiten, weil sie schon glücklich wären.

 

«Möchten sie es auch versuchen? Ich garantiere ihnen, völlig frei von physischen Nebenwirkungen zu bleiben.»

 

Lange muss sie ihre Überredungskünste nicht ausbauen. Sie reicht mir eine Pille. Noch bin ich nicht ganz überzeugt. Offenbar fällt es ihr auf, denn mit einem überzeugenden und zugleich zauberhaften Lächeln, dem ich nichts abschlagen kann, legt sie nach:

 

«Die Wirkung lässt nach; wenn sie also nicht mehr glücklich sein möchten, können sie davon absehen, die zweite Portion, die nach 48 Stunden nötig wird, um die Wirkung aufrecht zu erhalten, zu nehmen.»

 

«Also ist es doch eine Droge.»

 

«Nein, weil sie ja nicht körperlich abhängig werden. Auch haben sie keine Nebenwirkungen, wie bereits erklärt. Zudem wird die Serotonin- Noradrenalin- und Dopaminausschüttung nach der dritten Einnahme langsam dauerhaft erhöht, sodass eine Einnahme nach einigen Wochen, oder Monaten, was von der jeweiligen Körperverfassung abhängt, nicht mehr nötig sein wird.»

 

Meine Introvertiertheit lässt das Teilen meines nächsten Gedankens mit der Wissenschaftlerin nicht zu:

 

«Sinnloser als jetzt kann mein Leben wohl ohnehin nicht werden.»

 

«Na gut, also her damit. Haben sie auch ein Glas Wasser? Ich schlucke Pillen nicht gerne.» Lasse ich nun doch zu meiner Überraschung laut vernehmen.

 

Kirche
Kirche

 

Eine Stunde sitzen wir nun schon auf zwei der bequemen Bürosesseln und unterhalten uns prächtig über ihre Forschungsarbeit. Ich frage mich nun, ob das interessante Gespräch mich so glücklich macht, oder ob die Pille schon zu wirken beginnt. Dabei fällt mir ein, dass es mir auch schon wieder egal ist. Genauso wie mein Job. Egal. Meine Katze: Ach wie niedlich sie ist und wie glücklich ich bin, sie zu haben. Mein Chef. Egal. Mein knurriger Kollege macht mich auch glücklich, weil ich nun bemerke, wie bedeutungslos die Dinge sind, über die er sich aufregt. Ich sehe dieser Wissenschaftlerin nun tief in die Augen.

 

Sie erwidert seinen Blick und stellt fest, wie sanft seine Augen doch sind. Sie dürften wohl lange in dieser biederen Schale versteckt geblieben sein. Sie ist, wie immer in den letzten Wochen, auch glücklich. Er sieht glücklich aus, was sie wieder glücklich macht, zumal es eine Bestätigung ihrer langjährigen Arbeit darstellt. Er wird zu ihrer Arbeit, zu ihrem Testobjekt. Einfach genial.

 

 


 

Ich rücke näher, sie grinst nur. Sie lässt es sich auch gefallen, als ich beginne sie zu streicheln. So wie ich feststelle, dass diese Nebenwirkung der Hemmungslosigkeit bei uns beiden eingesetzt haben muss, lasse ich meine sonst so klobigen Bürohände zum langen Reissverschluss ihres Anzuges gleiten.

 

Sie analysiert, während er sie schnell auszieht. Er reisst ihr nun die Unterhose von der Hüfte. Sie ist hin und weg vor Glück, weil er glücklich ist. Sie lässt sich vollkommen fallen.

 

Ich fliege. Ich hänge am Fallschirm. Sie hängt mit mir. Sie ist mein Glück. Ich will nur mehr sie. Ich lecke erst ihre Ohren, ihre Nase, ihre Zehen, gehe zurück, durchforsche exakt mit meiner Zunge ihre gesamte Mundhöhle, gehe dann weiter zu grossflächigeren Feuchtgebieten. Etwas Blutgeschmack ist dabei, er macht mich so richtig rasend. Immer schneller werde ich. Jawohl. Tiere müssen wohl dauerhaft glücklich sein. Ich bin ein Tier. Es arbeitet sich durch, das Tier. Ich, das Tier in mir. Dieser Geschmack. Berauschend. Zu beissen beginne ich.

 

Sie ist im Rausch. Seine Zunge war überall. Nun beginnen seine Bisse ungewöhnlich zu werden. Schmerz. Ihr Glück ist nun nicht mehr synchronisiert, sie beginnt sich zu lösen.

 

Jawohl, sie mag es auch, sie beginnt sich zu wehren. Das macht alles nur noch spezieller. Ich beisse weiter, das Blut beginnt zu spritzen, erst aus ihren prall gefüllten Schamlippen, dann unter ihren Achseln. Ich muss sie nun etwas fester halten. Sie ist in Ekstase.

 

Sie ist nun nicht nur überrascht, aber auch ernüchtert über seine Kraft. Sie kann sich nicht mehr wehren. Perplex über die Wirkung und zugleich entsetzt liegt sie chancenlos angebunden da. Ihre laut gewordenen Rufe bleiben im dichten Laborraum.

 

Blutiges Gesicht
Blutiges Gesicht

 

Ich beisse mich durch. Noch niemals war ich so glücklich. Es kann nichts Besseres geben. Das Leben hat einen Sinn. Ich liebe sie, ich liebe es. Sie schmeckt mir. Das Blut. Es ist inspirierend. Nun ist die erotische Farbe über ihren Körper verteilt. Weil ich mehr davon brauche beisse ich grössere Adern der Hände auf. Die tolle Farbe lässt lange in mir geschlummerte Kreativität hochkommen. Dass ich ein Künstler bin habe ich nicht gewusst. Es ist nicht zu glauben, welch wundervolles Muster sich aus dem weissen Saft ihrer inneren Schamlippen mit dem dunklen und hellen Blut sich auf ihrer Haut zaubern lassen. Interessant, wie sich diese Farben mit fortschreitendem Abend verändern. Nun möchte ich mit der Flüssigkeit ihres Halses experimentieren, stecke meine Finger tief in ihren Hals, um an Speichel zu kommen. Wie Picasso mische ich die Farben auf ihrem Busen ab, der durch weitere Bisse noch mehr Farbe hergibt. Weil das Zucken durch ihren Körper zu noch mehr kunstvollen Formen führen, da ich meine Finger einfach so von ihren Bewegungen führen lasse, freue ich mich über dieses einzigartige Kunstwerk, das sich mit dem endgültigen Erschlaffen ihres Körpers vollendet.

 

Der Bürosessel des Patentamtes im Magistrat bleibt am nächsten Tag leer.

 

Virtueller Hut: Du förderts so die Schreibkunst:

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Kommentare: 2
  • #1

    R. Burgstaller (Montag, 25 Oktober 2021 06:33)

    Wow, faszinierend, gruselig und wahnsinnig spannend!

  • #2

    The autor (Montag, 25 Oktober 2021 07:58)

    Daaaanke! :-)