Wahrscheinlich kann die Person hier sich das nicht vorstellen, wie ich sie gesucht, ja sogar auserwählt habe. Umso grösser ist nun meine Freude. Alles habe ich mir schon schön zurechtgelegt. Wie die Person mir gegenübertreten sollte, was sie ausstrahlen sollte. Sie sollte natürlich alleine kommen. Die hier wirkt genauso unsicher, wie sie sollte.

Ja, perfekt. Was ist schon vollkommen. Auf jeden Fall habe ich mir lange genug Zeit gelassen, es mir bis ins kleinste Detail vorzustellen. Natürlich darf es nicht schnell vorüber sein, so dachte ich. Der Weg ist schliesslich das Ziel. Ich fand, ich würde alle Konzentration dafür aufwenden müssen und sollen. Müssen, damit es gelingt und die Folgen nicht verheerend sein würden, sollen, weil sonst ja alles umsonst wäre. Es geht ja auch um das Kunstwerk des Tuns. Die Einzigartigkeit spielt dabei schlussendlich eine Rolle. Das macht es schon schwierig, zumal es ja wohl nichts gibt, es noch nicht gab, nichts, das noch nicht gemacht wurde. Nun, wie auch jeglicher Farbstoff, jede Form von Leinwand von Malerinnen wohl schon ausprobiert wurde. Dennoch schaffen sie es mit einfachen Farben, bereits benützten Hintergründen, etwas Exklusives zu schaffen. Die Bewunderung war ihnen dabei häufig sicher.
Was würde also meine Kunst einzigartig machen? Zunächst mal entschied ich mich für Performance-Art. Die Durchführung steht also im Vordergrund. Dennoch. Das Material muss natürlich auch passen. Die Umstände. Der Ort. Das Motiv. Sind Kunstwerke gleich wertvoll, wenn sie erschaffen werden, um damit Geld zu machen? Das wären dann doch irgendwelche Muster wie sie auf Stoffen bei IKEA zu finden sind. Also keine Kunst, sondern Design. Ist Design nicht auch Kunst? Naja, da scheiden sich wohl die Geister. Wie auch immer. Kunst der Kunst wegen und nicht, um irgendwie reich zu werden. Ist bei dieser Art von Performance ohnehin noch nie der Fall gewesen. Aber bekannt vielleicht. Man denke dabei an Persönlichkeiten wie Jack the Ripper. Mit Banksy hat er die Gemeinsamkeit, dass auch dessen wahre Identität im Verborgenen bleibt.
So soll es auch bei mir sein. Diese Persönlichkeit, die es vollbringt, soll der Öffentlichkeit auch nur für die Tat selbst zur Verfügung stehen. Eine Art Pseudonym, wie es Autorinnen benützen. Womit wir bei Kriterium Nummer eins für meine perfekte Tat wären.
Einen zweiten Aspekt finde ich noch spannend: Die Frage nach dem Sinn. Ist denn eine Skulptur sinnstiftend? Nein. Sinnbefreit ist also auch noch optimal als künstlerisches Kriterium. Zwar stellt sich hier ohnehin allgemein die Frage nach dem Sinn vieler Dinge: Dafür bezahlt zu bekommen, um Powerpointpräsentationen zu produzieren, die niemand liest, eine Versicherung abzuschliessen, deren Hauptgeschäftsziel es ist, niemals ausbezahlen zu müssen, gezuckerte Lebensmittel zu essen, die einem das Leben verkürzen und auch noch die Frage nach dessen Qualität in Frage stellen. Wie dem auch sei. Viele Menschen würden Rechtfertigungen finden. Die Sinnlosigkeit geht also bei meiner Tat einher mit dem Motiv und der verborgenen Identität. Kein Grund zu Morden heisst auch, die Suche nach der Verbindung zwischen Täterin und Opfer zu erschweren. Stark zu hemmen sogar, ist doch das Motiv der wichtigste Hinweis. Dazu kommt die Schlussfolgerung, dass fast jede, dem Opfer bekannte Person grundsätzlich ein Motiv haben könnte. Es fehle also das Motiv. Nun gibt es keinen Grund, keine Verbindung zur Leiche. Aber es gibt noch die Leiche. Idealerweise gibt es auch diese nicht. Keine Leiche, keine Beweise, kein Mord. Und trotzdem eine tote Person. Selbstverständlich wird so nicht nur der Mord, sondern überhaupt die Tat perfekt und somit zum Kunstwerk.


Personen, die ich nicht kenne, gibt es genug. Keine Gründe, um eine Person ums Eck zu bringen, ohne dass ich sie kenne, gibt es ebenfalls. Für eine verschwindende Leiche wird es logistisch schon etwas herausfordernder: Dazu brauche ich Platz, Zeit; vor allem aber viel Platz ohne Publikum. Natürlich ist meine Kraft und Sportlichkeit schon mal von Vorteil. Dass ich Zugang zu vielen Lagerräumen habe als Hausmeister ist ebenfalls praktisch. Dennoch sollten diese nicht überstrapaziert werden, zumal ja keine Spuren hinterlassen werden sollten. Es darf auch kein Geruch übrig bleiben. Idealerweise verschwindet der tote Körper dort, wo er produziert wird. Nun bin ich aber Hausmeister in einem Bürokomplex und nicht in einem Krematorium. Ein Feuer würde hier auffallen. Auch finde ich, dass ein verbranntes Hochhaus zu viel Kollateralschaden darstellt. Zudem möchte ich ja wieder mal arbeiten. Meine offizielle Persönlichkeit zur Schau stellen, um die Frage nach dem Motiv und jene nach der Verbindung zum Mordopfer ungelöst zu lassen.

Die menschlichen Überreste lassen sich am besten und schnellsten in Salzsäure auflösen, so beschloss ich das. In diesem Fall, so stellte ich die Zusammenhänge her, wäre es auch völlig uninteressant, wie die Person stirbt. Weder ein gespaltener Schädel noch ein Loch in der Brust würden Hinweise hinterlassen.
Für eine makellose Tat, ein meisterhaftes Kunstwerk brauche ich also Ruhe. Frei von Nervosität wäre ich, bei rigoroser Planung. Fassen wir also zusammen:
Kein Motiv, kein Bekanntheitsgrad, keine Leiche, viel Platz, kein Mensch anwesend. Was würde sich da wohl besser eignen, als unser Bürokomplex während des Lockdowns?
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