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Mafiafaehre

Die Fähre bewegt sich langsam durch die Lagune, dessen Wasser aufgrund der aufgewühlten Sedimente grün erscheint. Durch den dichten Nebel ist zu erkennen, dass sie dem sumpfigen, sandigen Land, auf dem ausser ein paar Möwen sonst niemand ist, nahe ist. Bald wird sie auf das offene Meer stossen. Noch sind die wenigen Passagiere zusammen mit den LKW-Fahrern, an Deck verstreut. Die Urlauberinnen schiessen Fotos, die Berufslenker sitzen beisammen und saufen Bier. Von der nahe gelegenen Raffinerie dringt der Duft von verbranntem Kunststoff und Rohöl durch die Luft. Der Motor brummt dumpf im unteren Deck und die Klimaanlage lässt unaufhörlich das Gebläse vernehmen.
Meine Reiseleiterkollegin und ich holen uns einen Drink von der Bar. Wir stellen uns hinaus, es ist dort von allen Seiten windgeschützt. Seitlich, durch ein dickes Plexiglas geschützt, sehen wir dennoch auf das Wasser und die dampfige, frische Luft. Wir unterhalten uns über die Rundfahrt und unsere Gäste, welche äusserst anspruchsvoll sind. Nach dem zweiten Gin Tonic werden wir wesentlich optimistischer und lächeln entspannt. Da gesellt sich ein Herr, Mitte 30, haselnussbraunes, dichtes, gegeltes Haar, in weissem, aufgeknüpftem Hemd mit Goldkettchen darunter, Jeans, polierten, schwarzen Lederschuhen, zu uns. Aus seinem breiten Grinsen blitzt ein, mit einem kleinen Diamanten besetzter Zahn. Sein Geruch von Deodorantspray, kombiniert mit billigem Parfum, wirkt eher abschreckend. Mit italienischem Akzent spricht er uns in gebrochenem Englisch an. Er fragt nach unserer Herkunft. Plump. Aber meine Kollegin findet es witzig. Sie antwortet nicht, lacht nur. Ich gucke zwischen ihr und ihm hin und her, sie sehen sich ein paar Sekunden nur an, als ich mich verpflichtet fühle, die Frage zu beantworten:
“Austria.”
“Ah, si, bello!” Überschwängliches Augenweiten, allerlei Melodie in den wenigen Worten. Ebenso schleimig fährt er fort:
“Antonio. I emme Antonio.”
“Karina, sono Karina.”
“Oh, you speak ä Italiano?”
Da lacht sie wieder ihr Lachen, das schwer zu interpretieren ist: Abfällig, scheu?
“E tu?” Dabei wendet er sich an mich:
“What is ä your name ä?”
“Judith. Sono Judith.”
“Anche bello, very nice ä.”
Er zeigt auf einen Herren ähnlichen Alters 2 Schritte links, schräg hinter ihm:
“Thiiiis iiiis Gabriele. Like the angel.”
Erst jetzt wird mir klar, dass der die ganze Zeit schon dastand. Er nickt nur und sieht gleich wieder verlegen zu Boden. Ich sehe mich etwas genauer um. Da stehen weitere 2 Schnauzbärte, die ihre Augen direkt auf unser Grüppchen gerichtet haben. Sie beobachten alles. Sind unauffällig schwarz gekleidet. Einer starrt aus 5 Metern Abstand hinter Antonio in die Ferne, der andere in 2 rechts schräg rückseitig von ihm. Gedankenfetzen: Das muss nichts bedeuten. Gar nichts.
Die Konversation zieht sich. Er gedenkt zu erfahren, was wir in Sizilien vor haben, ob wir das erste Mal da wären. Bereitwillig erzählt Karina. Als unsere Berufe im Gespräch sind, verlangt sie eine informative Gegenleistung, horcht aus, womit sie ihre Brötchen verdienen. Wir müssen uns mit einer ausweichenden Antwort begnügen. Frei nach dem Motto: Wir sind hier in unserer Freizeit und haben keine Intention daran zu denken, ebenso wenig darüber zu sprechen.
Mehr Small-Talk-Geplenkel. Wir bekommen einen dritten Long-Drink gleicher Sorte in die Hand gedrückt. Der kaum vernehmbare Geselle hatte ihn besorgt. Beängstigend, dass wir nicht mitbekommen haben, dass er kurz nicht da war. Die anderen Herren stehen gleich positioniert auf ihren Plätzen. Nur selten wenden sie den Blick ab. Untereinander kommunizieren sie mittels Körpersprache und Mimik. Das verrät, dass sie zusammen und zu unserem Gesprächspartner gehören, welcher zunehmend aufdringlich wird:
„We could ä go to our cabin ä.“
„Never mind.“ Entgegne ich zügig und nehme sofort mit Karina Blickkontakt auf, um herauszufinden, ob meine Antwort in ihrem Sinne ist. Das ist es. Ihre Pupillen erklären mir sogar, dass sie fluchtbereit ist. Offenbar versteht der sizilianische Rudel ebenfalls und kreist uns ein. Wir müssen schroffer werden, Karina versucht es aber erst mit Höflichkeit:
„It was very nice to meet you. Thanks for the drinks.“
„Well ä. Are ä not forr freee.“
„We haven‘t ordered them, but would be happy to pay you.“
„You can ä not give us orders anyway.“ Dabei grinst er süffisant. Gabriele hat in der ganzen Zeit nichts von sich gegeben. Ein Pokerface setzt er auf. Jetzt kompensiere ich meine, durch Bauchkribbeln angezeigten Angstgefühle durch künstliches Lachen und erwidere:
„You really are a funny guy. I know your profession now. You are a comedian.“
Sein Lächeln gefriert ein und sein eiskalter Blick durchdringt mich:
„I wish I was ä. The opposite ä is the case.“
Er wartet unsere Reaktion ab, die zu lange auf sich warten lässt und so fährt er fort:
„Haha. Never mind. Was a jok ä.“
Karina bleibt auf ihrer Britischen-durch-die-Blum-Schiene:
„Well, it was nice to make your acquaintance. We go and get the money.“
Wieder weiss ich nicht, was ich seiner Mimik entnehmen soll, die mich immer mehr verunsichert. Er zieht die Mundwinkel nach oben, aber seine Augen verändern sich nicht:
„I was thinking of a different payment ä.“
Ich schaue Karina an, und sie interpretiert meinen Blick richtig:
„Flucht. Sofort.“
Blitzschnell drehen wir uns um. Die Leibwächter werden abgelenkt, weil wir kurz abtauchen, um unsere Gläser auf den Boden zu stellen. Dann verschwinden wir hinter einer kaum sichtbaren, weissen Stahltüre mit dem Aufkleber und Zeichen für „Eintritt verboten“. Wir landen in einem Gang links vom Restaurant, der in den, sonst nur für Crew zugänglichen Bereich führt. Schnellen Schrittes gewinnen wir Abstand. Rückwärtig hören wir ein zweites Mal, wie die schwere Türe ins Schloss fällt. Sie sind hinter uns her. Der Antonio scheint nicht dabei zu sein, den Silhouetten der 2 stämmigen Männer fehlt der glatte Kopf.
Keine Zeit mit dem Umdrehen ist zu verlieren. Mein Atem funktioniert rasend, das Herz rast. Karina rennt voraus. Der Geruch hat hier umgeschlagen. Modrig, schmierölig, alt. Es führt ums Eck. Die Verfolger sind kurz abgeschnitten. Meine Anführerin reisst rechts eine Türe auf. Stürmt hinein. Ich bemühe mich, sie zu halten. Sie ist wieder schwer und fällt schnell zurück ins Schloss. Fast wäre ich über die, zu den Schoten gehörenden Ränder am Boden gestolpert. Barrierefreiheit für Wasser ist hier nicht. Stahltreppen ragen in die Tiefe. Der Seegang erschwert es, das Balancegefühl zu bewahren. Die Verfolger müssen die Türe fallen gesehen haben, wir hören ihre Schritte. Die Metallstufen sind rutschig vom Dreck und Fett. Fluchen ist hinter uns zu vernehmen. Die Geräusche ihrer Lederschuhe werden lauter. 4 Decks rennen wir in die Tiefe in dem engen Stahlschacht. Vor uns erkennen wir ein weiteres Schot mit Türklinke. Falls dieses verriegelt ist, ist es aus. Wir werden hier unten nicht gehört. Selbst wenn die Küche an den Schacht grenzt, wären die Geräusche da drin zu laut. Die Maschinengeräusche haben sich ebenfalls intensiviert. Karina dreht sich mit einem angsterfüllten Blick zu mir. Verzweifelt suchen meine Hirnwindungen nach einem Plan B. Lächerlich scheint die spontan aufkommende Idee mit den Herren zu sprechen. Die zurückliegenden paar Schritte beweisen die Relativität von Raum und Zeit, da sich Letztere wie eine Galaxie dehnt. Abgelenkt von meinen Gedanken an eine Lösung, rutscht der linke Fuss nach vorne, ich komme ins Straucheln. Mein rechtes Bein geht in die Knie. Karina hört ein, aus dem Rhythmus geratenes Geräusch, durchzogen mit meinem Schreckensaufschrei und dreht sich um. Ihre Augen weiten sich, ihr Mund öffnet sich:
„Neiiin!“
Im Flug gesellt sich meine linke Hand zur anderen, die durchweg am Geländer streifte, und gemeinsam klammern sie sich mit den Armen an diesem fest. Der rechte Fuss rutscht ab. Der Körper hängt so für eine halbe Sekunde am Oberkörper, bis er sich erneut aufrichtet und sofort wieder in Bewegung setzt. Die Nervosität steigt. Ist dieses Tor zur Freiheit geöffnet?
Karina drückt die Klinke. Nichts. Sie dreht sich um, schaut nach oben. Ich probiere es ebenfalls, als sie ein weiteres Mal zum Türöffner greift. Diesmal zieht sie aber an der Türe. Sie bewegt sich wieder nicht. Ich komme dazu, gemeinsam ziehen wir an dem 2-Tonnen-Stahlding und langsam setzt es sich in Bewegung. Ich stelle meinen Fuss zwischen das Schliessmonster und dessen Rahmen und so schiebt Karina ihre linke Schulter in den Spalt, um diesen mit vollem Körpereinsatz so zu vergrössern, dass wir gleich beide durchschlüpfen. Wir sind durch und sofort kracht das Ungetüm wieder ins Schloss. Vor uns ist ein weiterer langer Gang mit zahlreichen Türen, hinter welchen sich offenbar die Crew-Kabinen mit der niedrigsten Kaste hier an Bord.
Der Geruch von verfaultem Fleisch, sowie gemischten, verrottenden Abfällen steigt uns in die Nase, was die Anwesenheit des Lagerraumes für den Müll vor uns verrät. Wieder vernehmen wir, nachstellende Laufschritte. Ein Aufzug, dessen Türe sich öffnet, taucht auf. Niemand ist drin. Ein Crewmitglied hätte uns zurechtgewiesen, uns belehrt, wir wären hier in unerlaubtem Terrain. Gut so. Personal hätte uns aber vor den Verfolgern bewahrt. Oder uns eher aufgehalten? Schnell schlüpfen wir hinein, drücken den obersten Knopf. Die Türe schliesst für unseren Geschmack zu langsam. Immer näher hören wir die 3 Männer kommen. Jetzt sitzen wir in der Falle.
Knapp bevor sich die beiden Metallteile zu einem Stück vereinen, sehen wir die fluchenden Herren und hören, wie sie gegen die Aufzugstür hämmern. Uff. Noch mal gut gegangen. Oben angekommen, finden wir uns in der Bar wieder. Weil es draussen dunkel geworden ist, die meisten Mitfahrenden mit dem Abendessen fertig sind, hat es sich hier gefüllt. Ein Pianospieler klimpert angenehme Hintergrundmusik. Wir schlüpfen schnell an die Bar. Dort sind wir unter all den Menschen sicher.
Der Barkeeper serviert uns auf Wunsch einen Grappa Barrique, als wir die 3 Schwarz-Gekleideten aus dem Lift steigen sehen. Nach nur 5 Sekunden intensivem Absuchen des Raumes, erspähen sie uns, verengen die Augen und setzen sich in Sichtweite, aber mit Gehörschutzabstand an einen kleinen Tisch. Wir beschliessen, unsere gewonnenen Orientierungskenntnisse später zu nützen, um in unsere Kabinen zu kommen, ohne, dass deren Nummern der neuen Bekanntschaft enthüllt wird.
Als ich mit meiner Kollegin auf den Fluchterfolg anstossen will, meint diese nur:
“Kein Grund zum Feiern. Schade, wieder ein potentieller Partner weg. Der war doch süss!”
Sprachlos bestelle ich noch eine Runde.

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