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Netzwerkanalyse

Das kleine Netzwerk erwartet die Fragen der Kommissarin. Noch hat sie nicht mal gegrüsst. Sie analysiert erst die möglichen Verdächtigen. Diese hat sie am Vortag kennengelernt. Es ist klar, dass die Person unbemerkt in den Raum gekommen sein muss. Meist dienen ihre Fragen nur mehr zur Bestätigung dessen, was sie vorher schon weiss, was die Fragerei überflüssig macht. Sie dient lediglich dazu, ihre Schlussfolgerungen vor den Anwesenden zu rechtfertigen.

Quelle: alicia-christin-gerald-zm4CcBeBbp8-unsplash
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Sie wird sich erst den Doktor vornehmen. Er ist ein unsicherer Kerl. Warum würde er sonst so viel auf Status setzten? Es reicht ihm nicht, einfach nur er selbst zu sein. Er beweist unbewusst immer seinen Eltern, dass er den gleichen Wert hat wie sein Bruder. Er will Anerkennung. Dumm ist er nicht. Manchmal schusselig, oder es passieren unnötige Fehler, weil er etwas unkonzentriert ist. Langfristig denkt er aber logisch. Er ist zudem geldgierig, denn ein fetter finanzieller Hintergrund greift seinem Ansehen unter die Arme. Eine Tote während seiner Veranstaltung schadet beidem. Er hatte kaum Verbindung zu Judith, weshalb ein Mord privater Natur unmöglich ist. Bestimmt hat sie ihm keinen Respekt gezollt. Zudem die Inhalte dessen, was er vorgetragen hat, angezweifelt, aber er ist sich seiner zu sicher, als dass er auch nur ein bisschen davon ausgegangen wäre, dass sie ihm Schaden zufügen hätte können. Seine Überzeugung würde sogar so weit reichen, zu denken, man würde ihn nicht verdächtigen. Ein handfestes Motiv fehlt dafür.

Quelle: engin-akyurt-KHDwnq57MUw-unsplash
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 Dies hätte Daniela. Zu eindeutig.


Angela ist ein Familienmensch. Sie ist von Haus aus glücklich. In letzter Zeit hat sie ihre positive Einstellung einen Hauch verloren. Zu oft ist ihre Gutmütigkeit ausgenützt worden. Es ist etwas Starrköpfigkeit dazugekommen. Gepaart mit Bildungsverweigerung hat sich ihr Wissensstand auf dem Niveau einer einfachen Person mit Grundschulabschluss in ihren Anfang-20 Ern eingependelt.


Ihre Grundhaltung ist geprägt von ihrem Umfeld, ausschliesslich Arbeiterklasse, viele davon hart arbeitend, andere ihren Frust ersäufend. Wie schon ihre Familie, ist sie friedlich und es liegt ihr fern, einer Person Schaden zuzufügen. Normalerweise jedenfalls. Weil sie eben dieses Vertrauen gelernt hatte, ist sie leicht zu beeinflussen. Mit plausiblen Erklärungen für Überredungskünste lässt sie sich zu einigen Taten hinreissen. Ihr Exmann und Vater ihrer Sprösslinge hat dies jahrelang für sich und seine Drogenexzesse genützt. Er war von ihr wie ihr grösstes Kind behandelt worden, das schon über kurz oder lang einsehen würde, dass er als erwachsenes Familienmitglied seinen Beitrag leisten müsse. Nicht nur Lehrerinnen und Mentorinnen gegenüber ist sie seit jeher trotzig, das Festhalten an ihrer lieblosen Ehe sollte ihren älteren Geschwistern beweisen, dass sie doch mit ihrer Verliebtheit richtig gelegen hatte. Sie könnte ein weiteres Mal zum Werkzeug geworden sein.

 

Eva ist der Charakter, der erst mal von den meisten Leuten ausgeschlossen wird, weil sie hochgradig korrekt ist. Fast schon neurotisch verteidigt sie die Wahrheit, die sie als solche erst festlegt, nachdem sie alle Beweise zusammengetragen hat. Während die durchschnittlichen Menschen aus reinem Selbstschutz lieber entspannen, wenn es heisst, den Wolf im Schafspelz zu füttern, legt sie selbstzerstörerisches Verhalten an den Tag.

Quelle: engin-akyurt-RVrVOvUkVwk-unsplash
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Dabei, so hat die Beobachtende den Eindruck, geht sie über Leichen. Das Retten der Wespe aus dem Saftglas, der Spinne vor dem Regen, der Mutter vor der Opferrolle, des Vaters vor dem Untergang durch Alkoholismus, der Welt vor Umweltschäden und dem Bösen, beanspruchen sie so, dass sie keine Zeit für Profanes zu verschwenden hat. Sie verzichtet auf das Glas Rotwein mit der Kollegin, den sinnlosen Film, den spannenden Roman zum reinen Vergnügen und den entspannenden Saunagang. Gehen Beziehungen nicht tief, spart sie sich die Zeit. Im Smalltalk fühlt sie sich so unbehaglich, dass sie ihn auslässt. Dafür liebt sie die genaue Analyse. Für diese nimmt sie sich Zeit. Ohne alle, ihr zur Verfügung stehenden Quellen überprüft zu haben, fällt sie kein Urteil. Es würde zu ihr passen, einen Mord so geplant zu haben, dass niemand auf die Idee kommt, dass sie es getan haben könnte. Ihr scharfer Verstand wäre dazu fähig gewesen, 2 Fliegen mit einer Klappe zu erwischen, hätte eine, ihrer Ansicht nach unnötige Person als Mörderin hinter Gitter gebracht. Dennoch ist ihr der emotionale Mord zuzutrauen. Tötung im Affekt, im absoluten Delirium. Wäre Judith zur Seite dieser obskuren Firma übergelaufen. Hätte sie ihre Träume und ihre Kreativität zu Gunsten dieses Konzernes aufgegeben. Hat Eva den Mord begangen, weil Judith die Daten missachtete, die ihr Eva präsentiert hatte?

Quelle: mathieu-stern-nDDVQzkc_fc-unsplash
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Daniela scheisst auf Fakten. Grundsätzlich. Es geht ihr um ... ja um was eigentlich? Um sich. Um ihre Gefühle. Um sich. Um ihre Gedanken. Um sich. Um ihre Welt. Um sich. Sich. Sicher fühlt sie sich. Sicher, dass sie richtig liegt und die anderen falsch. Sicher ist sie sich, tadellos zu handeln, und zwar zu jeder Zeit. Die Gegebenheiten nehmen bei ihr die Wichtigkeit ein, wie es Menschen tun. Andere braucht sie für sich. Ihre Sicherheit, ihren Erfolg, ihr Leben und Überleben. Personen sind für sie Schachfiguren. Sie haben am passenden Feld zur ordentlichen Zeit in der, für sie günstigen Weise zu agieren und zu ziehen. Es ist einfach in ihre Ungunst zu fallen. Jedoch versteht sie es, wie kaum eine andere Person in ihrer Oberflächlichkeit dennoch freundlich zu wirken. Schnell vertrauen ihr Menschenkinder Einzelheiten an, die sie sonst erst nach genauerem Kennenlernen preisgeben.

Quelle: fiona-smallwood-9G00z_MOIZo-unsplash
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Angelas Gunst zu erlangen war für sie ein langjähriger Akt. Am Anfang schien es leicht: Ihre Kinder waren im gleichen Alter, sie wohnten direkt nebeneinander, Daniela war vor ihr schon in der Gegend gewesen, weshalb sie sich als Hilfe einschleimen hatte können. Dann hatte sie Judith kennengelernt. Am ersten Abend schon war sie vor Eifersucht zergangen. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass 2 unterschiedliche Menschen sich über Jahrzehnte so ergänzten. Waren durch Dick und Dünn gegangen. Das hatte ihr gefehlt: Eine stabile Beziehung zu einer Person. Zu ihrer ersten erwachsenen Tochter hatte sie diese ebenso wenig aufgebaut, wie zu ihrer Mutter, oder ihrem Ex-Mann. Sie hatte damals beschlossen, dass es an Angela liegen müsse. Judith war mit ihrem eigenen Leben beschäftigt gewesen, jedoch immer wieder da. Niemals ausnahmslos weg, auch nicht als das dritte Kind der Angela kam und sie selbst Studentin war. Aber erträglich. Zunehmend mit gewissem Abstand, jederzeit ihr eigenes Dasein lebend.


Dieses Leben war erfüllt gewesen. Oder. War so erschienen? Sie hatte ein abgeschlossenes Studium gehabt, einen prestigeträchtigen Job. An ihren Wochenenden war sie mit vielen unterschiedlichen Hobbys beschäftigt gewesen. Sie hatte ihren Freund geliebt. Lebenspartner Nummer unzählig. Aber egal. Diesmal hatte sie auf ihre Erfahrungen aufgebaut, ihre Fehler nicht mehr wiederholt. Das hatte ihr Kraft gegeben. Diese brauchte sie, denn ihre Familienverhältnisse waren etwas schwierig: depressive Mutter und Bruder, drogenabhängiger Vater. Sie war immer ihren eigenen Weg gegangen. Das gesündeste, das sie tun hatte können. Trotzdem. Irgendetwas war übrig gewesen, noch nicht aufgearbeitet. Etwas hatte sie immer beschäftigt. Dazu hatte sie Kinesiologinnen, Psychotherapeutinnen, Kartenlegerinnen konsultiert. Ihre verstimmten Phasen waren mal kürzer einmal länger gewesen. War es eine Kurzschlussreaktion gewesen? Hatte sie sich selbst aus dem Rennen genommen?
Das Zimmer war abgeschlossen. Von innen. Judith hatte es so gewollt, in Ruhe wollte sie arbeiten. Das hätte, wenn wir davon ausgehen möchten, dass es Selbstmord war, eine Ausrede sein können. Jemand muss zu ihr gekommen sein. Eine Person, die sie kannte. Die Türe war nicht gewaltsam geöffnet worden. Es ist auszuschliessen, dass sie das Toxin davor eingenommen hatte, weil die Forensik irgendwas von Wirkungszeit und unterschiedlichen Giften in Zusammenhang mit Verdauung erklärte. Es passt nicht in den zeitlichen Ablauf. Ja, den Doktor würde man gerne verdächtigen, er ist zu schmierig, zu unsympathisch. Er ist aber nicht mit einzubeziehen, denn Zeuginnen beobachteten, wie er nach dem Abendessen ins Zimmer ging und die Nachtrezeptionistin, an der er vorbei hätte müssen, war in der besagten Zeit nicht mal auf der Toilette.
Evas Alibi war ebenfalls überprüfbar. Sie ist zur möglichen Tatzeit in einem Onlinemeeting mit Teilnehmenden der US-Amerikanischen Ostküste gewesen. Judiths Partner sagte aus, er hätte ihr einen Heiratsantrag gemacht und dass sie daher in letzter Zeit besonders gut aufgelegt war. Auch dies konnte überprüft werden. Sie hatte aufgrund der Hochzeitsvorbereitungen viele Freunde und Verwandte kontaktiert, von welchen einige ihren positiven Gemütszustand bestätigten.
Bleibt nur Daniela. Als Erstes schien ihr Alibi plausibel. Ein laufender Fernseher in ihrem Zimmer, ein Schatten, der hinter dem hellen Vorhang hin und hergehuscht ist während der Tatzeit, was der Nachtwächter vom Aussentor beobachtet hatte. Dieser war aber nach längerer Bearbeitung geständig geworden: Seine sexuellen Triebe waren von der Mörderin ausgenützt worden. Mittels Flirtaktion, inklusive verführerischen Augenaufschlag am Tag davor, hatte sie ihn davon überzeugt, akkurat zu handeln, indem er ihr mit dieser Kleinigkeit der Falschaussage helfen würde.
Augenscheinlich siegte ihre Eifersucht.

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