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Regenbogenmord

 

Pudelwohl fühlen wir uns gerade. Angenommen und akzeptiert von den anwesenden Personen. Die Stimmung ist völlig gelöst und wir lachen nun schon seit fast einer halben Stunde durch. Die Witze folgen Schlag auf Schlag, einer nach dem anderen prasselt auf uns ein, dann fällt uns selbst auch wieder etwas ein, das die anderen brüllen lässt. Nun beruhigen wir uns wieder mal und etwas ernstere Gespräche treten in den Vordergrund: Die Gesellschaft, das Leben der Beruf. Sehr interessante Themen kommen auf den Tisch: Forschungsarbeiten einer, auf der Uni tätigen Person, die wir eben erst an diesem Tisch kennengelernt hatten, Erfahrungen mit Schülerinnen und Klientinnen einer Lehrerin und einer Sozialarbeiterin. Eine weitere Person studiert Theologie. Die Atmosphäre wird gespeist von angenehmer Musik einer Band, die nun die Nachmittagsband ablöst. Ein bisschen Alkohol haben wir schon in der Blutbahn und er trägt dazu bei, dass wir uns kein Blatt vor den Mund nehmen. Um einen typischen Biergartentisch sitzen wir auf Bierbänken, die zu den Weisswürsten passen, die mit Brezeln und Bier verkauft werden. Langsam wird es aber frisch, weil die Dämmerung einsetzt. Wir wundern uns, dass die Damen und Herren im Dirndl noch nicht frieren.

 

Regenbogenkuchen
Regenbogenkuchen
Kuehe
Kuehe

 

Wir waren hierher unterwegs, als noch die Sonne über das Festgelände lachte und die Konturen der Felsen auf den Bergen im Hintergrund durch ihren Winkel der Einstrahlung hervorheben liess. Erst mussten wir einen Parkplatz suchen, offenbar hatten noch mehr Leute einen langen Fussmarsch vermeiden wollen. Wir unterhielten uns unterwegs darüber, dass es bald zur Abstimmung über die Ehe für alle kommen würde und darüber, wie lange es in welchen Ländern gedauert hat, um allen Menschen die gleichen Rechte zu gewähren. Offenbar wurden wir gehört, denn schräg hinter uns begannen Leute unser Gespräch zu kommentieren. Ihr Ton liess aber etwas Hass vermuten. Wir begannen daraufhin etwas genauer hinzuhören. Sie begannen sich in Rage zu reden und zu bekunden, dass es Bewohner gäbe, die man lieber in ein KZ schicken sollte. Unsere Blicke trafen sich, unsere Augen weiteten sich. Wir konnten es nicht glauben. Wir hielten unser Tempo auch weiter auf unser Ziel zu, um ja schön unauffällig zu bleiben. Als wir einmal ums Eck mussten, betrachteten wir die beiden aus den Augenwinkeln. 2 junge Herren: Einer ca. 1 Meter 75 gross, mit modernem Oberlippenbart, dessen blond gebleichte Farbe sich von seiner aschblonden Kurzhaarfrisur abhob, schlank, fast schlaksig wirkte er; der andere hatte einen Bierbauch, fettiges, halblanges Haar, dessen ausgewachsenen blonden Strähnchen in seinem 3-Tage-Bart hängen blieben. Beide trugen sie olivgrüne Hosen, schwarze, hohe Schnürschuhe, wobei der eine ein schwarzes und der schwerere und ungefähr gleich grosse ein graues T-Shirt dazu trug. Leicht beunruhigt stellten wir fest, dass sie schneller wurden, weiter hinter uns her waren. Wortfetzen, wie „die werden sich wundern“, oder „denen zeigen wir es“, liessen uns nachdenklicher werden, uns abschätzen, wie weit es denn noch bis zum Eintritt und somit zu den anderen war, bei denen wir uns geschützt fühlen würden.

 


 

Dort angekommen waren wir erst mal mit organisatorischem Kram beschäftigt: Registrierung, Eintritt, Markierung mit Band, Stempel, sodass wir die Verfolger aus den Augen verloren. Wir vergassen sie auch bald, als wir drinnen waren, wo es so einiges zu sehen gab: Aufwändige, bunte Kostüme, kunstvoll mit der Schminke im glatt rasierten Gesicht abgestimmt, zu denen die passenden 13-cm-Absätze getragen wurden, verschiedenste Arten von Lederhosen mit diversen regenbogenfarbenen, oder aus Kunstlack gefertigten Hosenträgern, ein Fetischklub, der seine Toiletten zur Verfügung stellte, flirtende Paare und singende, tanzende Gäste.

 

Regenbogen in der Wasserfontäne
Regenbogen in der Wasserfontäne

 

„Diese ekelige Gesellschaft. Schaue sie dir an, diese miesen Ratten!“

 

„Ja, da sind sie. Ausgelassen, als würde ihnen die Welt gehören.“

 

„Ich fühle mich eher wie eingezäunt, als ausserhalb des Zaunes.“

 

„Dabei gehören die hinter Gittern.“

 

«Schau mal, da sind ja die von vorher!»

 

«Wo?»

 

«Na, da drüben: Sie sitzen sich gegenüber.»

 

«Da soll sich noch jemand auskennen. Die sahen draussen so harmlos aus. Wie Mann und Frau eben.»

 

«Da siehste mal. Wahrscheinlich ist sie mal ein Mann gewesen und er ist ihr bester schwuler Freund, oder sowas.»

 

«Ja, das ist ja noch kranker. Die kannst du im Alltag noch nicht mal von den normalen Menschen auseinanderhalten.»

 

«Von der übelsten Sorte.»

 

Regenbogen in Hallau
Regenbogen in Hallau

 

Nun, uns wird allmählich kalt. Wir nicken uns zu und sind uns einig, dass wir langsam das Weite suchen, um gemütlich ins warme Bett zu gehen. Wir beginnen uns langsam von den neu gewonnenen Freunden, die uns Einblicke in eine Randgesellschaft geben konnten, die nun auch bald die gleichen Eherechte bekommen sollten wie wir Heteros, zu verabschieden. Beim Hinausgehen werden uns noch ein paar Kondome zugesteckt, mit dem Hinweis, dass die in der schwarzen Verpackung mit Gleitgel wären. Das kostet uns noch einen Grinser.

 

Die Nacht ist hereingebrochen, leichter Nebel zog schon auf. Die Musik lassen wir nun hinter uns, als wir ums Eck gehen. Die Wände des alten Fabrikgebäudes sind mit Anfängergraffiti besprüht. Nur noch dumpfes Grölen vernehmen wir in der Ferne. Weitere Leute, die wohl woanders zu viel getrunken hatten, denen der Alkohol so aufs Gemüt schlug, dass ihre Aggressivität durch den Ton in ihrer Stimme und ihre Art sich zu bewegen und uns zu mustern unübersehbar war, kommen uns entgegen. Auch ihre Stimmen werden leiser und nun hören wir nur mehr unsere Schritte. Die Stille ist ungewöhnlich. Weiter konzentrieren wir uns auf den Weg und sehnen dem warmen Auto entgegen, das wohl nicht mehr weit sein kann. Schnell ist es richtig kalt geworden, meine Zehen bräuchten dickere Socken. Nun hören wir weitere Schritte. Es müssen wohl noch andere Gäste auf dem Nach-Hause-Weg sein. Sie werden lauter. Schneller. Hinter uns müssen sie sein. Wir sehen uns fragend an. Aber wir sind eben nicht die einzigen auf der Welt. Wir drehen uns um. Weil wir aber eben wieder abgebogen sind, sehen wir niemanden. Da, wieder. Nach ein paar Sekunden beginnen sich die Geräusche von flotten Schritten zu wiederholen. Wir bleiben stehen. Wir wagen es nicht, uns umzudrehen. Nun verhallen auch die Schritte. Wieder diese Stille. Unsere Blicke sagen uns, dass wir uns wohl geirrt haben müssen. Weiter setzen wir also einen Fuss vor den anderen. Da ertönen auch schon wieder die Geräusche von Schuhen hinter uns. Nun drehen wir uns aber um, die Neugierde wurde doch zu gross. Die beiden Staturen kommen uns bekannt vor. Wir runzeln die Stirn, kneifen die Augen zusammen, um die Gestalten zu erkennen. 2 Sekunden dauert es schon, bis uns klar wird, wen wir vor uns haben. 2 Sechzigstel einer Minute, die uns vorkommen, wie eine ganze Stunde. Es sind die beiden Typen, die hinter uns so diskriminierendes Zeugs von sich gegeben hatten, als wir unterwegs zum Fest waren.

 

Pferde
Pferde

 

«Schau sie dir an. Diese armseligen Würstchen. Jetzt haben sie Angst.»

 

«Ja, aber unter all den schrecklichen Schwanzlutschern haben sie sich pudelwohl gefühlt.»

 

Kaum können wir glauben, was wir da hören. Aber was soll’s auch: Bellende Hunde beissen schliesslich nicht. Wir strafen die motzenden Herren also mit Ignoranz, drehen uns um und gehen weiter. Schliesslich sind wir uns nicht zuletzt wegen unserer sexuellen Orientierung keiner Schuld bewusst.

 

«He ihr!»

 

Ob die uns meinen? Wir zögern. Gehen langsamer weiter.

 

«Ja, genau. Ihr 2 Äffchen. Bleibt stehen.»

 

Wir tun fatalerweise wie uns geheissen und verharren.

 

«Was habt ihr da gemacht?»

 

Nicht ganz klar, was die Frage soll und was einen Wildfremden das überhaupt anzugehen hat, antworten wir:

 

«Wo? Wovon redet ihr?»

 

«Na diese Homofete. Habt ihr euch von allen Seiten ficken lassen?»

 

Völlig perplex fehlen uns nun die Worte.

 

Nach weiteren 2 Bruchteilchen einer Minute gehen wir weiter. Wir wollen nur nach Hause. Sonst nichts. Ins Warme. Bloss auf keine Provokation eingehen. Nun ist das Auto in Sichtweite. Jawohl: Nur mehr ein paar Augenblicke. Die Schritte hinter uns werden noch schneller, ungeduldiger schleifen sie ihre eigenen Füsse nach, um uns zu erreichen. Wir werden jetzt aber auch schneller. Offenbar kann es doch noch gefährlich werden. Wir greifen nach dem Türgriff, als alles extrem schnell geht: Die beiden erreichen uns, jeder greift nach einer von uns, eine Messerspitze blitzt auf und mit einem diabolisch grinsenden Fratzengesicht sticht einer der Beiden auf eine von uns ein.

 


 

«So kann es nicht weitergehen. Die Ehe wollt ihr also? Unsere Frauen versklaven, damit sie in euren feuchten Kellern «eure» Kinder bekommen?»

 

Blut spritzt, nun bohrt sich das Messer in den zweiten Körper. Unser Zustand, der uns mit fehlendem Bewusstsein zurücklässt, lässt weitere Berichte nicht zu.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Ralf (Sonntag, 10 Oktober 2021 18:38)

    Super Geschichte, fantastisch erzählt!

  • #2

    Autorin: Julia (Montag, 11 Oktober 2021 09:56)

    Daaaanke! :-) Freut mich, wenn es gefällt!