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Todeshochzeit

 

Trotz all der Widrigkeiten ist es nun endlich soweit. Der schönste Tag in Ailunas Leben soll es werden. Ein unvergesslich schöner Tag, der auf unvergesslich hässliche Tage folgt. Aber sie will nicht daran denken. Sie möchte im Hier-und-Jetzt leben, möchte nur für ihn da sein, möchte alles geniessen, ja in sich aufsaugen, sodass sich, wie bei einem Elektromagneten, Plus und Minus ihrer Gefühle aufheben würden. Erst mal ist alles wie immer: Aufstehen, Kaffee trinken, ... . Ihr zukünftiger Mann ist auch schon wach, hat bereits die Schlagzeilen gelesen und versorgt auch sie mit einem Heissgetränk. Schön. Sie wird verwöhnt. Er ist der perfekte Mann. Für das Scheitern aller bisherigen Beziehungen, fühlt sie sich zu grossen Teilen verantwortlich. Das hat sie lange hinuntergezogen. Er aber ist so lieb und verständnisvoll, dass nur ihre beste Seite zum Vorschein kommt und so die Probleme, die sie in vorangegangenen Partnerschaften hatte, vermieden werden konnten. Zwar hat sie ihm von diesen Dingen erzählt, er liebt sie aber wie sie ist und es ist ihm nur wichtig, wie sie jetzt zusammenleben und dass es ihnen beiden gut geht. Das bestärkte sie noch mehr in der Meinung, dass es nun klappen würde. Er ist der Mann für ihr Leben. Das soll heute auch vor dem Gesetz besiegelt werden. Sie haben einen Termin mit der Standesbeamtin. Trauzeuginnen braucht es in der heutigen Zeit nicht mehr und so werden sie später nur zu dritt sein. Sie selbst würde viel zu nervös mit grossem Publikum und so haben sie die Vernunft entscheiden lassen und geplant, sich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren.

 

Friedenstauben
Friedenstauben

 

Mit ihrer schlicht-eleganten Kleidung passen sie sehr gut in die alte Burg, in der die Zeremonie stattfinden wird. Die Burg liegt auf einem Hügel, umgeben von einem steilen Graben und am heutigen Tag auch von Nebel. Der Herbst ist schon so weit fortgeschritten, dass die Bäume des Waldes, der sich um die Burg unter derselben befinden, schon blätterlos sind. Erst geht es über die hohe Brücke, unter der der steile Graben, umsäumt von spitzigen Felswänden, in die Tiefe ragt, welche nur Schwärze nach oben reflektiert. Auch durch das einsame Tor, das sie durchschreiten müssen, um in den Innenhof der alten Gemäuer zu gelangen, zieht gerade eine Nebelschwade. Sie lassen sich aber nicht beirren. Sie haben ja gewusst, dass Herbst sein würde. Noch dieses Jahr hatten sie alles nach dem Antrag an einem sonnigen, warmen Altweibersommertag besiegeln wollen.

 

Foltergerät
Foltergerät

 

Das blutige Schafott ist mit einem gerade abgeschlagenen Kopf bestückt. Daneben gibt es einen Balken, durch den eine stehende Person den Kopf steckt, welche dann zu Folterzwecken mit den Armen festgemacht wird, um nicht entkommen zu können. Eine Streckbank zeigt eine ausgemergelte Person.

 

Schnell wischt sie die Bilder im Kopf wieder weg.

 

„Nur Museumsstücke, dumme Nuss.“ sagt sie innerlich zu sich selbst.

 

Es kostet sie einige Mühe, sofort wieder ein glückliches Gesicht aufzusetzen. Sie schafft es aber und sogleich treffen sie auf die Standesbeamtin. Sie ist ebenso schlicht gekleidet, passend zur Gesellschaft im engen Kreis.

 

Durch eine riesige Holztür, bestehend aus 2 Flügeln, dem Holz der Bäume, die vor mehr als 400 Jahren gefällt worden waren, treten die drei nun gemeinsam. Im Raum ist die Wärme des Sommers niemals angekommen, er hat die frostigen Temperaturen des letzten Winters konserviert, weshalb es drinnen kälter ist, als draussen. Das Klappern der hohen Absätze, wenigstens die etwas schöneren Schuhe sollten es sein, hallte im Gewölbe wider. Der Modergeruch eines mittelalterlichen Raumes, aus dem es nicht gelungen war die Feuchtigkeit draussen zu halten, steigt ihnen in die Nase. Es gibt nur diesen einen Tisch in der Mitte des Raumes. Ergänzt ist er auf der, des Einganges gegenüberliegenden Fensterseite mit einem einfachen, harten Stuhl, auf der anderen mit 2 Sitzgelegenheiten der gleichen Sorte. Links sind weitere Fenster, die die ungewöhnliche Dicke der Wände zeigen und mit buntem Glas, das aus sechseckigen Einzelstücken gefertigt worden war, bestückt ist. Unheimlich wirken die Bilder an der rechten Wand.

 


 

Die Standesbeamtin bemerkt ihren ängstlichen Blick, welcher sich auf die Gesichter der alten Gemälde haftet und beginnt zu erzählen:

 

„Die hier sind Originale. Der Hofmaler eben dieser Herrschaften hat sie gemacht. Schon damals, also im 13. Jahrhundert, haben die Fürsten hier geheiratet. Die hintersten Gemälde zeigen die ersten, die hier vermählt wurden, die anderen Paare sind deren Kinder und Enkel. Alle Söhne, jedenfalls jene die überlebten, haben hier die Partnerschaften mit ihren Frauen gesetzlich besiegelt.“

 

Er lächelt, schaut sie lieb und treuherzig an:

 

„Toll. Das ist bestimmt ein gutes Zeichen.“

 

Der starre Blick der Standesbeamtin entgeht ihr nicht. Sie kann nicht wissen, dass die Gemeindeangestellte noch mehr Informationen hat, die sie zurückhält, welche sich mit seiner romantischen Vorstellung so ganz und gar nicht decken.

 

 

Sie folgt dem Blick der Organisatorin und da sieht sie es: Das Gesicht der Schwiegertochter der ersten Burgherren ist kein Bild. Es ist ein ovales Fenster, das weiter ins Innere der Burg führt. Daraus grinst nun die Fratze einer faltigen Frau mit grauer Haut und vergilbtem Schleier. Ailunas Herzschlag wird deutlich schneller und sie dreht mit geweiteten Pupillen ruckartig den Kopf zu ihrem Zukünftigen. Dieser schaut fragend drein, sucht die Hilfe der trauenden Person, nachdem er sieht, dass seine spontanen, durch ein sanftes Lächeln hervorgerufenen Beschwichtigungsversuche nichts nützen. Diese zieht ebenfalls nur die linke Augenbraue nach oben. Die Braut bemerkt die schnell aufgezogene Ratlosigkeit der anderen beiden Anwesenden und versucht ihre Entdeckung zu vertuschen.

 

„Ruhig bleiben. Der Vereinigungsspruch wird schnell durch sein, dann werde ich mit meinem Ehemann hier raus sein, wir werden das Auto nehmen und einen glücklichen Tag verbringen.“ So spricht sie mit sich selber. Trotzdem schielt sie nochmal zu dem vermeintlichen Gemälde. Die Fratze scheint sie zu verhöhnen, streckt ruckartig einen Arm nach vor und beginnt zu lachen, als Ailuna einen Schritt nach hinten macht, Schrecken in den Augen spiegelnd.

 

Todestauben
Todestauben

 

Ihr Zukünftiger wirkt beruhigend auf sie ein:

„Komm Schatz, es ist nicht so schlimm. Genau genommen werde ich bleiben wie ich bin, glaub mir, du brauchst dich nicht zu fürchten. Auch die Vergangenheit der Burg kann uns nichts anhaben.“

 

Offenbar erschreckt nur sie die Herrschaft vergangener Jahrhunderte. Sie sieht ihn an und seine braunen Rehaugen lassen ihren linken Mundwinkel für eine Zehntel-Sekunde nach oben zucken. Die Dame mit den Unterlagen beginnt sich zu beeilen. Sie beschleunigt den Vorgang. Irgendwie fürchtet sie, dass sich die, zur Legende gewordenen Geschichte zu wiederholen beginnen könnte. Flott verteilt sie die Papiere auf dem Tisch. Als ob eine Rechtfertigung nötig wäre, fügt sie hinzu:

 

„Eine weitere Trauung soll hier nach der Ihren stattfinden.“

 

Die beiden Betroffenen nicken und setzen sich aufgrund der einladenden Handbewegung der dritten auf die zwei Stühle, die nebeneinander platziert sind und nach aussen zeigen. Dort ist der Nebel in den Innenhof der Burg gekrochen. An den Foltergeräten vorbei, zieht er die Flusssteine, aus denen die Gemäuer einst aufgezogen wurden, entlang nach oben.

 

Das Gemälde befindet sich nun rechts hinter ihr, sie kann es nicht mal mehr im Augenwinkel ausmachen. Das beruhigt sie, zumal sie ja etwas vor hat.

 

Die Einführungsrede beginnt und die gelben Rosen, die schön auf dem Tisch zusammen mit etwas grünem Farn zu einem Gesteck geformt worden waren, werden in innerhalb der nächsten 2 Minuten braun und die Blütenblätter fallen ab. Sie lässt ihren Blick zwischen dieser Szene und den Unterlagen vor der Frau gegenüber hin und her schweifen. Ihre Lippen beginnen zu zittern, als sie nun doch im rechten Augenwinkel eine Bewegung wahrnimmt. Erst ist es nur ein Schatten, der sich aus dem Hintergrund schält. Dann personifiziert er sich, wird grösser, hält inne. Ailuna wird nun noch nervöser und sie unterbricht die Feierlichkeit:

 

„Lassen Sie uns doch bitte zum notwendigen Akt kommen. Unterschreiben wir und gehen.“

 

„Aber Schatz? Was ist los? Die Geschichte ist doch schön! Es ist unsere Geschichte. So haben wir uns kennengelernt, so sind wir zusammengekommen.“

 

„Ja schon, aber wir kennen sie schon, schliesslich haben wir ja über eben diese Ereignisse selbst berichtet, sonst könnte sie sie uns nicht vorlesen.“

 

Etwas pikiert reagiert nun die Vorleserin, da sie sich ihrer Meinung nach Mühe gibt:

 

„Gerne kürze ich ab. Ist ja auch meine Zeit.“

 

Mitleidig erwidert Ailuna:

 

„Es tut mir wirklich sehr leid, es ... „ sie dreht sich nach hinten und glotzt in die Augen, deren Pupillen so hell sind, dass sie sich kaum vom Rest des Augapfels abheben.

 

„ ... haben Sie denn das Problem noch nie gehabt?“ dabei schwenkt Ailuna den Kopf in Richtung der aufgetauchten Gestalt.

 

„Sie meinen, dass eine der beiden Parteien Panik bekommt? Doch schon.“

 

„Nein, dass ungeladene Gäste hier sind, hier im Schloss eigenartige Dinge vor sich gehen, sich ihre Besitzerinnen bemerkbar machen, sie präsent sind.“

 

Todeshochzeit
Todeshochzeit

 

Die Standesbeamtin denkt an die alten Überlieferungen, durch die sie im Archiv mal geblättert hat. Da gab es schon eine eifersüchtige Schwiegertochter, die sich am Hochzeitstag an ihrem frisch gebackenen Mann mit dessen Tod rächte, weil dieser schon lange eine Maitresse gehabt hatte und sie nur aus politisch-strategischen Gründen heiratete. Kaum jemand kennt die Geschichte. Wie es sich für eine Burg gehört, gibt es natürlich Gerüchte über einen spukenden Geist. Seit Jahrzehnten versucht die Gemeinde diese auszurotten, um die Museumseintritte durch Seriosität ihrer Arbeit besser verkaufen zu können.

 

Kurz überlegt sie, sinniert darüber nach. Nur den Bruchteil einer Sekunde, aber leider lange genug, um die Braut noch mehr zu verunsichern. Das bemerkt sie und daher wirft sie sogleich ein:

 

„Nein, nichts. Alles gut. Gerne kommen wir zum nächsten Teil.“

 

Seine Strategie ist es nun, sich einfach rauszuhalten. Neutralität, so denkt er, könnte die Lösung sein.

 

Die Dokumente für die Unterschriften werden bereitgelegt, als sich eine neue Stimme zu Wort meldet:

 

„Es ist zu spät. Beeilen, oder nicht. Auch ER wird daran glauben.“

 

Die Stimme scheint von weit weg in den Raum gehaucht zu werden. Sie ist metallisch und von Bösartigkeit erfüllt.

 

Sie nimmt seine Hand, umklammert sie. Er lässt es zu, versucht sie aber zu beruhigen:

 

„Es ist alles gut. Wie soll ich dir denn so den Ring an den Finger stecken?“

 

„Ja, sicher. Mach schon. Zieh ihn mir an!“

 

Überrascht und verunsichert, aber gewillt die Situation nicht eskalieren zu lassen, nimmt er den kleineren, schmaleren Ring und zieht ihn ihr über den Finger. Sie macht es ihm nach, als die Standesbeamtin nur mehr stammelt:

 

„Äh. Naja. Ich meine. Also. Hm. Ist zwar nicht so ganz die richtige Reihenfolge, aber na gut. Geben Sie sich doch einfach noch das Ja-Wort und dann können sie unterschreiben.“

 

Prompt kommt es von ihr, ohne eine Frage abzuwarten:

 

„Ja, ich will.“

 

Hinter ihr ist schallendes Lachen zu hören, welches von den Wänden als Echo zurückkommt.

 

Er ist immer noch unterstützend und hilft ihr:

 

„Ok. Also ich will Dich auf jeden Fall auch heiraten.“ Dabei sieht er ihr direkt in die Augen. Er setzt ein Pokerface auf, weil er nicht weiss, wie es weitergehen soll. Er bekommt ebenfalls Angst, will auch nur mehr weg, nachdem sich die Stimmung im Raum derartig verändert hat.

 

Das, aus dem Nichts aufgetauchte Monster bewegt sich nun exakt neben das Brautpaar, welches dem Vorschlag der Zeremonieleiterin, nun den Raum zu verlassen, prompt Folge leistet. Die Gestalt würde hier bleiben, sie gehört offenbar zu diesen Gemäuern. Als könnte sie Gedanken lesen, poltert sie los:

 

„Es gibt kein Entkommen. Es ist zu spät. Die Unterschrift ist auf dem Pergament.“

 

Erschrocken drehen sich alle drei noch einmal um, schauen auf die Stelle, an der eben die dicke, alte Türe ins Schloss gefallen ist. Die Frau aus dem Bild kommt gefährlich näher, hebt die Arme leicht an. Diese Szene lässt die frisch gebackene Braut fast zu Tode erschaudern. Ihre Schritte beschleunigen sich. Die feuchte Luft kriecht unter ihre Klamotten. Die Kälte sticht in ihrer Nase. Der Nebel lässt nur wenige Umrisse erkennen. Der Modergeruch ist nun mit dem, von verfaultem Fleisch gemischt. Der Wind saust in den 6 Ohren und lässt andere Geräusche, ausser derer der Schritte, unbeachtet. Ihre Hand krallt sich nun fest an seine.

 

Aus dem lippenlosen, stinkenden Zahnlückenmund hauchen nun folgende Worte wie ein Sturm:

 

„Ja genau! Nimm ihn! Umklammere ihn! Halte ihn fest! Konzentriere all Deine Kraft auf ihn!“

 

Nun wäre es Zeit loszurennen. Sie sieht ihn an und sein Blick scheint zu sagen:

 

„Es ist ok. Alles ist gut. Wir müssen nicht laufen.“

 

Sie weiss es zu schätzen, dass sie ihn wortlos versteht, nickt kaum merkbar und beschleunigt ihren Gang nur ganz leicht.

 

Die Standesbeamtin bekommt es nun mit dem Verabschieden eilig und in innerhalb von 90 Sekunden sind sie alleine im Burghof. Sie durchschreiten diesen, während sie die Angestellte ihrer Heimatstadt davoneilen und über der Brücke und dann ums Eck verschwinden sehen.

 

Der vermeintliche Schlossgeist beginnt sie zu überholen. Während sie durch den Bogen auf die Brücke gehen gleitet die Gestalt an ihnen vorbei. Sie bäumt sich auf, hebt die Arme seitlich nach oben, sodass graue, zerrissene Stofffetzen eines mittelalterlichen Hofkleides, die davon zeugen, dass es sich einst um weite, spitzig nach vorne zugehende Ärmel gehandelt haben musste, nach unten hängen und im nun aufgekommenen Wind flattern. Das Paar reisst gleichzeitig die Augen auf, bleibt abrupt stehen. Er versucht sie nun mit dem Arm zurückzuhalten, sie macht das Gleiche mit ihm. Beide stolpern sie über jeweils die eigenen Beine nach hinten, kommen am Boden der Holzbrücke auf. Zwischen den Streben des Geländers starren sie in die Tiefe des Burggrabens auf die dunklen, scharfen Felsen. Die Gestalt rückt näher, wird scheinbar grösser, konzentriert sich nur mehr auf ihn, durchbohrt ihn eiskalt mit ihrem Blick. Mit einem Ruck hebt sie ihn hoch und stösst ihn über das Geländer. Er hat nicht die geringste Chance gegen die konzentrierte Macht, die sich im Körper der Frau aufgebaut hat. Völlig schockiert schaut Ailuna wie vom Donner gerührt dem fallenden Leichnam nach. Er kommt hart mit dem Rücken auf den Steinkanten auf, das Blut spritzt, sein Genick bricht. Alles geht unheimlich schnell. Ihre Bewegungen frieren ein, sie kann es nicht fassen. Ein kurzer Gedanke zurück in ihre Vergangenheit. Der Psychologe. Die Diagnose. Schizophrenie. Sie muss es eben gewesen sein, die ihn über das Geländer gestossen hat. Noch niemals hatte sie in der Vergangenheit die Persönlichkeit einer mittelalterlichen Mörderin angenommen. In dem Moment, in dem ihr klar wird, was sie getan hat, zögert sie keine Sekunde und stürzt sich zu ihm auf den Felsen.

 

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