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Weltkulturmord

Die grösste Ausgrabung des Landes sollte es werden: Millionen sind schon ins Projekt geflossen. Die Baufirma hatte unter Angabe der halben Kosten den Zuschuss bekommen. Die Hälfte war fertiggestellt, da konnte sie nicht mehr weiter finanzieren. Hinzu kam dieser Erdrutsch. Dieser dient für die nächste Legislaturperiode als Argument, warum es zur Kostenexplosion gekommen war. Die Baufirma begrüsst dies, plant die Erdkatastrophe ein und nimmt erneut an der Ausschreibung teil.
Profit für die ganze Region, ausgehend von der Tourismusindustrie alle anderen Industrien. Mit den zusätzlichen Steuereinnahmen ist geplant, die Infrastruktur weiter auszubauen. Stattdessen kassieren Entscheidungstragende Boni und Provisionen für die Auftragsvergabe. Über Jahre zieht es sich hin und her. Angefangene Stellen überwuchern erneut, an anderen Plätzen wird wieder von Baufirmen sowie Archäologinnen gegraben.
Der Skandal wird bekannt, den Bauern wird es zu dumm. Zudem fürchten sie, ihre, über Jahrhunderte gepflegten Olivenbäume für ein paar alte Steine opfern zu müssen.

„Was um alles in der Welt sollen wir tun? Selbst wenn ich das Grundstück mitten im Gelände behalten kann, ist das kein befriedigender Kompromiss. Den Geschichtshungrigen Kaffee servieren? Wieviele Kaffees würden wohl meine Bäume und die seit Jahrhunderten durch meine Familie hineingesteckte Arbeit ersetzen?“
„So viele Espressi wirst Du aus keiner Maschine bekommen.“
„Den alten Römern wieder Leben einhauchen? Einem Volk, das uns unterjocht hatte?“
„Ja, unsere Vorväter waren die Sklavinnen, die ihnen ihre Monumente gebaut haben.“
„Genau. Und je besser sie erhalten sind, desto mehr Blut unserer Leute klebt daran.“
„Es war vor hunderten und Tausenden von Jahren nicht einfach sie los zu werden. Wir wollen es nicht so weit kommen lassen.“
„Genau.“
„Auf zur Baustelle.“

Der Schäfer hilft mit anderen seiner Leidensgenossen bei der Baufirma mit, weil die Milch seiner Tiere nicht für sein Auskommen reicht. Seine Frau wärmt in der Küche eines kleinen Imbisses Sandwiches für Urlauberinnen.
„Na, habt ihr eure Bäumchen am Wochenende geschnitten?“
„Nein, meines Bruders Schafe haben sie abgefressen.“
Der dritte im Bunde meint:
„Genau so wollen wir bleiben: eine Landwirtschaftsgemeinschaft.“
„Wie könnten wir diese Katastrophe hier verhindern? Es kann doch nicht sein, dass wir dazu beitragen, dass uns unsere Lebensgrundlage genommen wird!“
„Du meinst den Job hier?“
„Aber nein! Damit helfen wir ja mit ein angebliches UNESCO-Weltkulturerbe zu bauen.“
„Schon, aber das Einkommen brauche ich.“
„Ja, weil hier alles so teuer ist. Bleibt es Bauernlandschaft, hauen auch noch die letzten Kultur- und Erholungssucherinnen ab, wird es wieder leistbar hier.“
„Na gut. Wer ist verantwortlich?“
„Die Regierung.“
„Ja schon, aber wer hat hier die Hauptverantwortung? Wem muss der Kopf abgeschlagen werden, damit das hier ein Ende nimmt?“
„Dem Bauleiter.“
„Sehr schön.“

Der Leiter der grössten historischen Ausgrabungs- sowie Baustelle des Landes kommt etwas später. Er telefoniert im Auto, bevor er dieses verlässt:
„Ich muss beginnen. … Ja, sicher. Die? Na die haben keine Wahl. Zudem wären sie doof, sie würden sofort ersetzt. … .  Na klar, für alle! Ein riesen Gewinn. Wir sitzen auf einem Schatz! … Wie? … Ja, Jahrzehnte. … Wer? … Ja, sie hatten schon Stonehenge organisiert. … Unheimlich viele Arbeitsplätze für alle Gewerbe, ja. … Hören sie, ich muss gehen. … Wiederhören.“

Etwas gestresst begrüsst er die 3 Baggerfahrer. Die Abwasserrohre gilt es verlegt zu werden und das, am Rande gelegene Sumpfgebiet trockenzulegen. Alle 3 sehen sich erwartungsvoll an. Der unter ihnen, welcher neben Ziegen, Schafen und Olivenbäumen zusätzlich Obst im grösseren Stil anbaut, ergreift spontan die Initiative:
„Herr Papudopulos, haben sie ne Minute für uns?“
Misstrauen blitzt aus den Augen des Gefragten und gestresst antwortet er schnell und mit scharfem Ton:
„Was is denn?“
„Wir haben ein Anliegen, aber auch schon Lösungsvorschläge. Dafür müssen wir aber vom Strassenrand hier weg. Wir möchten ihnen dazu da hinten etwas zeigen.“
Dabei zeigt das Multilandwirtschaftstalent auf eine Stelle um die leichte Kurve, in der Strasse, die wegen der Arbeiten gesperrt, ist und einst ihr Dorf mit der Hauptstrasse verband. Der Manager wundert sich, zumal seine Mitarbeiter bisher niemals so freundlich grinsten und sich schon gar nie optimistisch, oder kooperativ zeigten. Seine Neugierde siegt aber und so stimmt er zu. Er watschelt voraus und die 3 Nebenerwerbsbauern werfen sich verschwörerische Blicke zu und folgen ihm. Dort angekommen scannen sie die Umgebung ab: von allen Himmelsrichtungen blickdicht. Die Eukalyptusbäume auf zwei Seiten sind zugewachsen genug, die Reste des römischen Aquäduktes, sowie Mauerreste des ehemaligen Badehauses, jeweils überwuchert und von dichtem Gestrüpp umzingelt, sorgen für die nötige Abschirmung.
Wieder suchen die 3 Vollzeitbaggerfahrer gegenseitig ihre Blicke. Ein kaum vernehmbares Nicken, als sich schon ihr Vorgesetzter umdreht.
Mit spöttischem Unterton ersucht dieser, zu wissen:
„Womit kann ich dienen?“
„Mit deinem Tod.“
Zeitgleich fliegt die geballte Hand des Schafsbesitzers mit Lichtgeschwindigkeit auf die Nase des Angesprochenen. Dieser hat keine Zeit zu reagieren. Schon faltet der Olivenmeister beide Pranken zu einer grossen Faust und schwingt diese mit aller, ihm zur Verfügung stehender Heftigkeit auf ihn herab. Er fällt in die Knie und der Gerechtigkeitssinn lässt den Dritten zum Einsatz kommen, um das Opfer endgültig ausser Gefecht zu setzen, indem er seine Stahlkappenschuhe mit voller Wucht auf dessen Wirbelsäule niederlässt.
Ob der Mann lebt, oder nicht ist ihnen egal. Dennoch wird er neben die neu verlegten Rohre verfrachtet, wo einst Frösche jährlich ihren Laich loswurden. Mit gleicher Effizienz arbeiten sie weiter. Sie halten sich dabei strikt an die Anweisungen, die sie ein paar Tage zuvor von dem nunmehr bewusst- oder leblosen Patron erhalten hatten. Der Bagger schaufelt die Mulden zu, bis von dem Mann nichts mehr zu sehen ist. Das besitzerlose Auto wird im verbleibenden Sumpf verstaut, dieser trockengelegt zum Zubetonieren während der nächsten Tage vorbereitet.
Hätten sie in den letzten Jahren zusammen mit ihren Kollegen immer so zielorientiert gearbeitet, wäre das gesamte Gelände schon fertig.

Wieder etwas für die Nachwelt geschaffen: In weiteren 2050 Jahren wird sich die Archäologie mit 2 destruktiven Gesellschaften beschäftigen.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Ralf (Sonntag, 04 Juni 2023 19:59)

    Coole Geschichte!!!

  • #2

    QBurg (Mittwoch, 07 Juni 2023 15:14)

    Daaaanke!!! :-))))